1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
gehen.
Nach einem kurzen Umweg durch das kleine Dorf erreichte ich die Herberge und machte mich bettfertig. Mein Bett stand etwas abseits, der Schlafraum war nur halb gefüllt, also war Platz genug vorhanden. Marlies, eine Krankenschwester aus Kiel, half ich an diesem Abend noch mit meinem Teebaumöl aus. Sie hatte wahrscheinlich ein oder zwei Herbergen zuvor Besucher in ihrer Matratze gehabt, die ihr dicke, rote Pusteln am ganzen Körper hinterlassen hatten.
Ich war froh, von solchen Dingen bisher unbehelligt geblieben zu sein. Außer ein paar Knie- und Wadenschmerzen und dem manchmal empfindlichen Magen, ging es mir super gut. Da hatte ich bisher in den Herbergen Dinge gesehen, die weitaus schlimmer waren. Ich hatte die Außentüre verschlossen, das Licht gelöscht und legte mich in mein ächzendes, quietschendes Bett. Jemand im Raum kicherte.
„Ruhe!“ hörte ich Marlies scherzhaft sagen.
Tag 19
Itero de la Vega / Frómista / Carrión de los Condes
Marlies zupfte an meiner Decke.
„Hallo, Schlafmütze.“ Ich schaute zum Fußende meines Bettes.
„Nicht dass du dich erschreckst, wenn du aufwachst. Wir sind jetzt alle weg.“ Für mich hörte sich das so an wie „Junge, wach auf. Du musst zur Schule.“ Beides hatte mir nicht gefallen.
Draußen war es noch dunkel. Ich rieb mir die Augen und schaute in den schwach beleuchteten Raum. Alle Betten waren leer. Nee, diese Pilger! Dabei fiel mir wieder ein — ich war selbst einer. Also stand ich auf und machte mich in der menschenleeren Herberge, unter Ausnutzung des gesamten mir zur Verfügung stehenden Platzes, wanderfertig.
Ich hatte Mühe in der Dunkelheit im Dorf die ersten Wegzeichen zu finden. Da ich aber gelernt hatte, dass mir morgens immer die Sonne direkt im Rücken stand, schaute ich mich um, wo sie gleich aufgehen würde und orientierte mich in die entgegengesetzte Richtung. Ich war schon fast aus dem Dorf heraus, als das erste Licht der Sonne einen gelben Pfeil auf dem Giebel eines Hauses anleuchtete.
„Danke“, sagte ich leise.
Die etwa dreiunddreißig Kilometer lange Etappe des heutigen Tages fasst mein freundlicher Reiseführer wie folgt zusammen: „Die endlosen Weiten sollten einen nicht entmutigen. Sie gehören zu den stärksten Erfahrungen des Weges.“ Und ich war bereit für starke Erfahrungen.
Im ersten Ort lockte mich eine handgeschriebene Tafel mit einem Frühstücksangebot vom Weg weg in eine Pilgerherberge. Ich betrat einen wunderschön angelegten Garten mit Blumen, Skulpturen und einem eigenen Swimmingpool.
„Schade“, dachte ich. Hier hätte ich eigentlich auch gerne übernachtet. Ich hätte gestern nur noch fünf Kilometer weiter laufen müssen, um in dieses kleine Paradies hier zu kommen. Aber ich wollte zumindest das Frühstücksangebot genießen. Während ich das tat, setzte sich ein junges, deutsches Paar an den Nachbartisch. Sie unterhielten sich über ihre Tagesplanung und meckerten über irgendetwas herum.
„Hallo“, sprach er mich an, „hast du auch hier übernachtet? Ich habe dich auf der Grillparty gestern im Garten gar nicht gesehen.“
„Grillparty. Das auch noch“, dachte ich und erzählte ihm, dass ich schon fünf Kilometer hinter mir hatte. Das machte auf die beiden mächtigen Eindruck und sie wurden neugierig.
„Wo bist du denn gestartet?“ wollte sie nun wissen.
„Somport“, war meine kurze, aber extrem lässige Antwort. Und nun ließen sie mich nicht mehr in Ruhe. Fragen über Fragen. Aber was für Fragen.
„Wird man nicht oft in den Herbergen beklaut?“
„Die sind ja oft viel zu teuer und sauber sind sie auch nicht.“
„Wir haben gehört, dass es Bettwanzen geben soll.“
Alles schien in ihren Augen dubios und auf Nepp aufgebaut zu sein. Ich fragte mich, warum sie sich überhaupt auf den Weg gemacht hatten. Und mich wunderte, dass sie immer mit einer Bürste durch ihr Haar strich.
„Vielleicht gehört das ja noch zu ihrer Morgentoilette“, dachte ich und versuchte mein Frühstück zu Ende zu bringen.
„Wir sind vorgestern in Burgos gestartet“, sagte sie unaufgefordert, „und haben gar keinen festen Plan, wie weit wir jeden Tag kommen wollen. Wir gehen mal hierhin und mal dahin, wie es uns gefällt.“
„Hierhin und dahin“, dachte ich. Das hörte sich so an wie „Hinz und Kunz“.
„Na ja. Diese Herberge war ja ganz ok“, sagte Hinz.
„Ganz ok?“ antwortete ich entgeistert, „die Herberge hier ist ein Hammer. Sie ist total schön und mit viel
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