1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
nachdem ich mich mit reichlich Proviant und Wasser eingedeckt hatte.
Weite Getreidefelder mit seltenen, kleinen Baumgruppen bestimmten die langweilige Landschaft. Ich hatte den Eindruck, völlig alleine hier unterwegs zu sein. Aber das war auch gut so. Ich dachte über meine Gedanken im Kloster nach und war noch etwas irritiert über die Antwort auf meine Feststellung.
Das hatte nicht ich gesagt. Ich fasste auf meinen Kopf. Die Kappe hatte ich auf, einen Sonnenstich hatte ich also nicht. Mitten auf dem Weg lief ich durch eine große Herde Kühe, die frei herum liefen.
Ich ging einfach, ohne mein Tempo zu verringern, an diesen großen Tieren vorbei, von denen ich einige sogar leicht berührte. Ich befand mich in einem merkwürdigen Zustand. Diese Gegend hier schien vollkommen zeitlos zu sein. Und ich hatte den Eindruck, etwas in mir wusste genau, was ich hier tat.
Es war ziemlich warm geworden. Ich hatte mir meine Kappe ins Gesicht gezogen und meinen Blick nach unten gerichtet. So sah ich nur die nächsten zwanzig Meter meines Weges vor mir. In diesem stupiden Wandertempo kamen mir nun all die Zufälle und Eindrücke meines bisherigen Jakobsweges in den Sinn. Es waren eine Menge und ich hatte gerade die Hälfte meines Weges hinter mich gebracht. Bilder, Gesichter und Stimmen meiner bisherigen Weggefährten und die Kirchen und Klöstern schwirrten in meinem Kopf umher.
Ich wagte einen Blick in die Landschaft und blieb abrupt stehen. Jetzt hatte es mich wohl doch erwischt. Dabei nutzte ich doch jede Gelegenheit, meine Kappe unter kaltes Wasser zu halten, um meinem Kopf so die nötige Kühle zu geben. Aber das hatte dann wohl doch nichts genützt. Ich drehte mich um. Hinter mir sah alles normal aus. Aber vor mir — nicht. Etwa einen Kilometer vor mir, mitten in der Prärie, stand ein großer, weißer Reisebus mit Anhänger und der Aufschrift „Kölner Reisedienst“.
Ich stand immer noch da, wie angewurzelt. Jakobsweg, Klöster, geheime Stimmen, Mystik, Kölner Reisedienst. Was passte da jetzt nicht? Langsam ging ich weiter. Um den Bus herum war niemand, er stand einfach da. In langsamem Tempo kam ich näher heran und hörte plötzlich hinter mir — oh Gott, diese heiße Sonne * das Gebimmel von Fahrradklingeln. Ich schreckte herum und etwa dreißig Herrschaften mittleren bis höheren Alters hielten mit ihren Fahrrädern auf mich zu. Bevor ich in Panik geriet, hörte ich in einem mir sehr bekannten Dialekt:
„Och luuren’s doh. Ene Piljer.“ Oder geriet ich gerade jetzt in Panik? Die ganze Truppe überholte mich klingelnd und grüßend. Am Bus hielten sie an und stellten die Räder ab. Es ging nicht anders, ich musste durch sie durch.
„Mach’s wie bei der Kuhherde“, dachte ich bei mir und schritt mit normalem Tempo durch die Gruppe hindurch. Einen richtigen Pilger mit Jakobsmuschel und Pilgerstab auf weiter Flur hatten sie wohl noch nicht gesehen. Einer von ihnen sprach mich an.
„Willste mit uns watt essen, Jung?“ ich ging unbeirrt weiter und antwortete
„No comprende, Señor.“ Ich glaube, das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich meine Herkunft verleugnet hatte, aber ich musste überleben.
Als ich mich in sicherer Entfernung befand, drehte ich mich noch mal um. Auf der schattigen Seite des Busses waren eine Küche und Sitzgelegenheiten aufgebaut. Die Herrschaften saßen gemütlich beim Essen, während einer vom Personal die Fahrräder in den großen Anhänger verlud. Später am Abend sah ich den Bus an einem Luxushotel stehen.
Und nun erinnerte ich mich auch an eine Diskussion, die ich mit Monica geführt hatte. Sie hatte mir erzählt, wie es mehr und mehr Touristen gäbe, die den Jakobsweg als Attraktion befahren und dabei sogar die Pilger in den Herbergen besichtigen würden. Ich hatte ihr das damals nicht abgenommen. Und nun war ich selbst zur Attraktion geworden. Die Situation war skurril gewesen und hatte mir, trotz einer gewissen Komik, die tiefe, bedächtige Stimmung verdorben.
Noch vor zwei Wochen hätte ich mir über solche Dinge keine großen Gedanken gemacht. Aber nach meinen bisherigen Erfahrungen, den Menschen und ihren Geschichten auf und um den Jakobsweg und ganz speziell nach den Gesprächen mit Monica war ich auch nicht begeistert über den reinen Tourismus auf dem Weg.
Mich von Herberge zu Herberge kutschieren zu lassen, um mir dann in Santiago die Pilgerurkunde abzuholen, fand ich von meinem jetzigen Standpunkt aus nicht gerecht. Ich war sehr gespannt, was ich
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