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1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg

1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg

Titel: 1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Jakob Weiher
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und jauchzend auf der Kinderschaukel hatte spielen sehen.
    „Wir sind zusammen in Burgos gestartet, aber wir gehen auch schon mal alleine. So wie wir es wollen, ohne Verpflichtungen“, sagte sie.
    „Jeder hat sein eigenes Tempo auf diesem Weg“, antwortete ich beiläufig und schaute in die untergehende Sonne.
    Sonnenuntergangsstimmung im Blumengarten, Wein und Käse, eine attraktive, intelligente Frau, von deren Existenz ich heute Morgen noch gar nichts wusste, im Bikini neben mir im Liegestuhl — es ging mir auch schon schlechter.
    Später machte ich mich vor dem Essen noch zu einem kurzen Spaziergang ins Dorf auf. An der völlig unscheinbaren, nur noch nach reinen Mauern aussehenden Kirche blieb ich stehen und orientierte mich nach Kneipenlärm. Die Dorfschänke war brechend voll mit Einheimischen, die einen Wahnsinnsradau machten.
    Daher setzte ich mich mit meinem Kaffee auch gleich nach draußen. Nach etwa zehn Minuten kam ein älterer Herr dazu, und wenig später eine junge Frau. Die beiden kannten sich wohl vom Weg und begrüßten sich herzlich. In ihre deutschsprachige Unterhaltung wurde ich spontan mit eingebunden.
    Bruni, eigentlich Brunhilde, hatte ein wenig gehumpelt und ihr Gesicht sah etwas lädiert aus. Sie hatte letzte Nacht um dreiundzwanzig Uhr die geniale Idee gehabt, eine Nachtwanderung zu machen. Ich hatte davon gelesen, dass es Pilgergruppen gibt, die sich, entsprechend ausgerüstet, im Dunkeln auf den Weg machten. Bruni hatte sich aber ohne geeignete Ausrüstung, fast nachtblind und im Dunkeln oft ängstlich, ganz alleine auf den Weg gemacht. Die Frau war mir sofort sympathisch. So viel spontanes und selbstvertrautes Handeln war dann etwas zu viel für sie gewesen.
    Nachdem die Energie ihrer Taschenlampe nach einigen Stunden verbraucht war, und sie am Wegrand toilettieren wollte, übersah sie einen kleinen Graben, kippte um und schlug mit dem Gesicht auf den Kiesboden.
    „Meine Jeans ist zerrissen. Ich habe mir das Knie aufgeschlagen. Meine Brille ist auf meinem Nasenbein zerbrochen und am ganzen Körper hab ich blaue Flecken“, erzählte sie kopfschüttelnd, „ich hab mich dann mitten in der Nacht in den nächsten Ort geschleppt und habe mich dort auf einer Bank in meinen Schlafsack gehüllt.“
    „Wieso hast du so was blödes denn gemacht?“ musste ich einfach wissen.
    „Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Ich hatte eine Nachtwanderung gar nicht vorgehabt. Es war eine spontane Eingebung — nach deren Sinn ich allerdings noch suche.“ Mir gefiel der Humor, den sie hatte, über sich selbst zu lachen und zu lästern. Die Glocken der Kirche unterbrachen unser Gespräch und erinnerten mich daran, dass mich in der Herberge mein Abendessen erwartete.
    Der Tisch war liebevoll gedeckt und mir gegenüber saß zu meiner Überraschung die junge Frau, die mich in der bescheidenen Herberge von Reliegos so eindrucksvoll angelächelt hatte. Ihr Blick ging nach dem Augenkontakt immer gleich etwas verlegen nach unten. Und so hatte ihr auch der Herbergsvater beim Anamnesegespräch chronische Schüchternheit diagnostiziert.
    Am Tisch saßen noch zwei Franzosen, ein Kanadier und Andrea mit ihren Freundinnen. Ich hatte schon befürchtet, dass diese gemeinsamen Abendessen nicht mehr stattfinden würden und freute mich, dass ich mich geirrt hatte. Wir genossen ein leckeres, reichhaltiges Essen in herzlicher Atmosphäre mit internationalen Teilnehmern. Die Franzosen sprachen kein Englisch, aber Andrea fließend Französisch. Und so tauschten wir unsere Erfahrungen aus.
    Da die anderen am Tisch aber alle erst ein paar Tage unterwegs waren, musste ich am meisten erzählen.
    Eine der Münchnerinnen hatte mich auf dem Weg gesehen, wie ich einen Kommentar für meine Internetseite in mein Handy gesprochen hatte und wollte wissen, ob ich öfter auf dem Weg telefonieren würde. Das war mir peinlich und so stellte ich sofort klar, dass ich nicht telefoniert, sondern eine Sprachaufnahme für meine Internetseite gemacht hatte.
    „Dann bist du das, der über seine Reise im Internet berichtet“, sagte die schüchterne Frau, wurde etwas rot im Gesicht und blickte sofort wieder auf den Tisch.
    „Jetzt hatte man mich entdeckt“, dachte ich und wechselte auch meine Gesichtsfarbe. Zum einen war ich völlig überrascht, dass meine Berichterstattung im Netz schon auf dem Jakobsweg angekommen war und zum anderen wollte ich das hier nicht publik haben. Ich fürchtete, dass sich niemand mehr mit mir unterhalten würde, weil

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