Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg

1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg

Titel: 1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Jakob Weiher
Vom Netzwerk:
Ich hatte die Hälfte meiner Wegstrecke geschafft. Fünfhundert Kilometer lagen hinter mir, weitere Fünfhundert noch vor mir, und vergangen war die Zeit wie im Flug.
     

Tag 21
     
    Sahagún / Calzada del Coto / Reliegos
     
    Die Nacht in der Kirchenherberge war besonders. Zwar kannte ich niemanden der Pilger hier, aber ich konnte von der oberen Etage meines Stockbettes, durch einen kleinen Sichtspalt, in die Kirche hineinsehen. Ein Konzert fand zum Glück an diesem Abend nicht statt. Am nächsten Morgen war ich früh wach und wie so oft vor Sonnenaufgang unterwegs. Als ich den ersten gelben Pfeil an einer Hauswand fand, bot sich mir wieder einmal ein symbolisches Bild.

    Die Dächer des Ortes waren noch dunkel, aber in Richtung des Weges strahlten die ersten Sonnenstrahlen einen Kirchturm an. Er leuchtete so hell, dass ich einen Moment stehen blieb, um mir das Schauspiel anzusehen. Diese „Wegzeichen“ begleiteten mich nun schon den ganzen Weg. Ich fühlte mich beschützt und wusste mich auf dem einzig richtigen Weg.
    Nachdem ich den in den Himmel ragenden Wegweiser erreicht hatte, bemerkte ich, dass die Türe der Kirche offen stand. So etwas zieht einen ja magisch an, zumal das Gebäude schon von außen sehr schön ausschaute. Es handelte sich um ein ehemaliges Benediktinerkloster, das bis ins neunzehnte Jahrhundert das bedeutendste Kloster Spaniens war.
    Ich legte meinen Rucksack beiseite und setzte mich in eine der Bänke. Niemand war hier. Ich schloss die Augen und fand mich gedanklich über zwanzig Jahre zurückversetzt.
    Meine Erinnerung brachte mich in eine Zeit, als ich selbst einige Wochen in einem Benediktinerkloster in der Eifel gelebt hatte. Ich war dort als Gast untergebracht und durfte den Alltag der dort lebenden Mönche teilen. Ich hatte morgens um sechs Uhr die erste Messe miterlebt, in der Gärtnerei gearbeitet und durfte an den gemeinsamen Essen teilnehmen.
    Der Speisesaal war mit Holzbänken und einer Holzvertäfelung an der Wand ausgestattet. Immer, wenn die beiden wuchtigen, schweren Holztüren geschlossen wurden, war es augenblicklich mucksmäuschenstill. Der einzige, der nun noch reden durfte, war der Vorleser, der auf einer Art Kanzel saß und aus dem Tagebuch von Albert Schweitzer vorlas.
    Die Mönche saßen mit dem Rücken zur Wand etwas höher auf ihren Plätzen, die Gäste in der Mitte des Raumes. Es gab sehr gute bürgerliche Küche und vom selbst angebauten Wein.
    Ich durfte mich frei bewegen und hatte oft die Gelegenheit in einem kleinen Saal ein uraltes, aber gut erhaltenes Bechstein Klavier zu spielen. Zu dieser Zeit hatte ich ein wenig Unterricht bekommen, aber aus dem Flügel war mehr heraus zu holen. Ich lernte im Kloster eine junge Frau kennen, die sich eines Abends wortlos zu mir ans Klavier setzte und wir spielten ohne irgendeine Absprache wunderschön improvisierte Stücke zusammen.
    Ich hatte mich zu dieser Zeit in das Kloster begeben, weil ich ein bestimmtes Buch in Ruhe lesen und studieren wollte. Außerdem hatte ich mich schon immer für das Klosterleben interessiert. Nicht etwa, weil ich mich mit dem Gedanken im Kloster zu leben beschäftigte, sondern weil mich die Atmosphäre, ja ich möchte sagen, die Mystik solcher Gebäude schon immer fasziniert und angezogen hatte.
    In Bezug auf den Aufenthalt in diesem Kloster war mir als eines der bemerkenswertesten Ereignisse in meinem Leben, der letzte Tag in Erinnerung geblieben. Ich verließ das Kloster durch einen Nebeneingang. Es hatte nachts geschneit und ich stapfte durch eine dicke Schneedecke. Ich schaute auf meine Füße und der Schnee knirschte unter ihnen.
    Keine vierundzwanzig Stunden später schaute ich wieder auf meine Füße. Diesmal drückten sie sich in den warmen, weißen Strandsand der Karibikküste. Ich hatte damals einen Traumjob in Mexiko.
    Zu dieser Zeit befand ich mich privat, wie beruflich in einer Umbruchphase. Ich lebte nur in den Tag hinein und folgte ausschließlich merkwürdigen „Zufällen“, die sich ereigneten.
    Ich öffnete meine Augen und befand mich wieder klaren Kopfes im Kloster von Sahagún.
    „In einer ähnlichen Lebenssituation befinde ich mich jetzt auch“, sagte ich leise zu mir.
    „Richtig“, hörte ich und schaute mich verwirrt um. Ich war immer noch allein.
    Hinter Calzada del Coto gabelte sich der Weg. Die eine Variante führte durch drei Dörfer, die zweite nur durch einen kleinen Ort. Instinktiv entschied ich mich für die knapp zwanzig Kilometer lange, einsame Strecke,

Weitere Kostenlose Bücher