1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
gebracht werden musste.
Der zweiundsiebzigjährige Belgier, der seine Reise für seinen kranken Sohn machte, und auch ich erlangte als der Pilger mit dem Stativ zweifelhaften Ruhm.
Die Geschichte, die mich aber seit Mitte meiner Pilgerreise immer am meisten interessiert hatte, war die von der großen, schlanken, blonden Isländerin, die den kompletten Jakobsweg von Pamplona aus mit ihrer achtjährigen Tochter unterwegs war. Dabei war mir bei den Erzählungen aufgefallen, dass die besondere Schönheit der Isländerin immer erwähnt wurde — auch von den Frauen.
Davon wollte ich mich unbedingt selbst überzeugen und versuchte, ihr Gesicht zu erkennen, doch das gelang mir nicht, obwohl ich keine drei Meter neben ihr stand. Ich begab mich auf die Mauer der Strandpromenade und beobachtete die beiden von einem Geländer aus. Eine halbe Stunde war vergangen, aber sie wollten nicht aufstehen. Meine Füße signalisierten mir, dass sie aus den schweren Wanderschuhen wollten, und so suchte ich mir erst einmal eine nette Unterkunft.
Nach einer erfrischenden Dusche und einem kurzen Schläfchen machte ich mich für das Abendessen bereit. Ich fand ein gutes Restaurant im Hafen mit Meerblick und genoss ein ausgiebiges Fischmenü mit, wie sollte es auch anders sein, Brot und einem guten Wein. Bevor ich mein Hotelzimmer aufsuchte, schlenderte ich noch am Strand entlang in der Hoffnung, die schöne Isländerin mit ihrer Tochter zu treffen, aber dieser Wunsch erfüllte sich zunächst nicht.
Tag 36
Finisterre / Cabo Fisterra
Das erste Mal auf meiner gesamten Reise konnte ich ohne Wecker ausschlafen und hatte keine Eile. Nach meinem Frühstück, wieder mit Meerblick, machte ich mich mit leichtem Gepäck auf zum Leuchtturm von Finisterre. Von der leicht ansteigenden Küstenstraße aus hatte ich stets einen herrlichen Blick auf ein tiefblaues Meer und einen nicht weniger schönen blauen Himmel. Ich fühlte mich nicht mehr wie ein Pilger, das hier war Urlaub vor einer wunderschönen landschaftlichen Kulisse.
Der achtzehn Meter hohe Leuchtturm vom „Cabo Fisterra“ wurde im Jahr 1853 erbaut und kontrolliert fast siebzig Prozent der weltweiten Frachtschifffahrt. Für Pilger steht hier der berühmte und erlösende Wegweiser mit der Kilometerangabe „Null“. Und so steht auch auf dem Stempel der Herberge Finisterre „Fin da Ruta Xacobea“ -Ende des Jakobsweges.
Ein Highlight der Reise gab es aber noch. In den Klippen hinter dem Leuchtturm versammeln sich allabendlich die Pilger, um bei dem atemberaubenden Sonnenuntergang ihre Kleidung, oder zumindest einen Teil davon zu verbrennen. Nach dem Bad im Meer, des Verbrennens der Kleidung und des Betrachtens des Sonnenunterganges soll man, so die Prophezeiung, am nächsten Tag als neuer Mensch erwachen.
Den Rest des Tages verbrachte ich im Hafen und schaute den Fischern bei der Arbeit zu.
Für meinen Termin zum Sonnenuntergang kaufte ich eine Flasche Rotwein und eine gute Zigarre ein. Damit, und mit meiner Kameratasche, Stativ und Pilgerstab schlenderte ich am frühen Abend wieder zum Leuchtturm hinauf und suchte mir in den steilen Klippen einen guten Platz aus.
Ich baute das Stativ auf und richtete die Kamera ein, mit der ich den kompletten Sonnenuntergang filmen wollte. Ich öffnete die Rotweinflasche und nahm einen ersten Schluck aus einem Plastikbecher.
Mein treuer Pilgerstab lag neben mir auf dem Felsen. Er sollte nicht wieder mit zurückkommen. Ich hatte mir überlegt ihn nach dem Sonnenuntergang ins Meer zu werfen, um damit für mich das Ende meiner Reise zu symbolisieren.
Die kleinen, flachen Stellen in den Klippen füllten sich langsam. Die meisten Menschen hier waren allein und beim Umherschauen grüßten sich alle wortlos untereinander. Die starke, emotionale Energie war richtig zu spüren. Hier saß niemand, der Spaß haben, oder eine Party feiern wollte. Jeder war hier ganz bewusst mit seinen Gedanken allein.
Als die Sonne sich langsam dem Horizont näherte, schaltete ich meine Kamera ein und schaute mir gebannt das Naturschauspiel an. Hier hatten vor hunderten von Jahren die Menschen gestanden um während der untergehender Sonne ihre Rituale abzuhalten und dabei gedacht, dies sei das Ende der Welt.
Während der folgenden dreißig Minuten lief meine Reise wie ein Film vor meinem inneren Auge noch mal ab. Ich erinnerte mich der herrlichen Landschaften, der Begebenheiten in den Herbergen, meinem Glück mit dem Wetter und natürlichen den zahlreichen
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