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1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg

1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg

Titel: 1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Jakob Weiher
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meinen Weg in Richtung Atlantik Küste fort. Meine Planung hatte eigentlich einen ein bis zwei Tage dauernden Aufenthalt in Santiago vorgesehen. Monica hatte mir eine Liste von Cafés, Restaurants und Sehenswürdigkeiten erstellt, die ich unbedingt hätte besuchen sollen. Geplant war in einem Luxushotel zu übernachten, feudal zu essen und Zigarre rauchend meine Ankunft zu feiern. Stattdessen befand ich mich auf dem Weg ans Ende der Welt.
     

Tag 35
     
    Santiago de Compostela / Negreira / Finisterre
     
    Am frühen Abend und nach über dreißig Kilometern war ich gestern am späten Nachmittag im Ort Negreira angekommen. Müde und mit wehen Füßen hatte ich mir ein kleines einfaches Hostal gesucht und war nach einem gemütlichen Abendessen früh im Bett gewesen.
    Ich hatte lange geschlafen und gönnte mir im Ort ein Frühstück auf einer kleinen Terrasse eines Cafés, von dem man eine schöne Aussicht auf den Hauptplatz hatte. Die richtige Einstellung, heute zu wandern, fehlte mir noch. Ein Blick in meinen Reiseführer prophezeite mir eine dreiunddreißig Kilometer lange anstrengende, schattenlose und daher heiße Strecke ohne Einkehrmöglichkeiten. Das hörte sich nicht wirklich nett an.
    Mein Hintern klebte förmlich an dem bequemen Stuhl, bis ich eine dunkelhäutige, Rucksack tragende und Pilgerstab schwingende Frau sah, die sich an die Bushaltestelle setzte. Ich hatte seit meiner Flucht aus Santiago keinen Pilger mehr gesehen und so entschloss ich, mich zu ihr zu gesellen. Noch bevor ich die Haltestelle erreichte, bog ein Bus um die Ecke. Ich musste grinsen, als ich einstieg.
    „Hat mich wieder einer eingefangen“, dachte ich.
    Kurz vor Mittag sah ich aus dem Fenster an einer Straßenbiegung zum ersten Mal das blaue Wasser des Atlantik. Nach so viel Hellbraun von den abgeernteten Getreidefelder der Meseta und dem Grün der herrlichen Waldlandschaften war das Blau des Meeres wie eine fremde Welt. Die vielen kleinen Buchten, an deren Sandstränden sich seichte Wellen brachen, sahen nach Urlaub aus. Der salzige Geruch von Meer stieg mir in die Nase, als ich aus dem klimatisierten Bus ausstieg. Möwen schwebten kreischend über dem Ort und beim Anblick des kleinen Fischerhafens konnte ich kaum fassen, dass mich der Bus nur etwa vierzig Kilometer weit gefahren hatte.
    Bis nach Finisterre waren es allerdings noch etwa zehn Kilometer, doch diese Strecke führte, bis auf ein Drittel, an der Küste entlang mit herrlichen Ausblicken auf das Meer. Die dunkelhäutige Pilgerin war mit mir ausgestiegen und so war es unvermeidlich, dass wir uns auf der Wegstrecke wieder begegneten. Sie wartete an einem Aussichtspunkt mit ihrer Kamera auf mich, um mich zu bitten ein Foto von ihr zu machen.
    Die junge Frau kam aus Brasilien und war seit fünf Wochen alleine auf dem Weg unterwegs gewesen. Innerlich musste ich grinsen, denn ich hatte in Hape Kerkelings Buch von einer Brasilianerin gelesen, die auf dem Jakobsweg nach einem Mann für sich gesucht hatte. Wir gingen einen Teil der Strecke zusammen und plauderten über unsere Erfahrungen, die immer wieder vollkommen unterschiedlich waren.
    An einer der kleinen Buchten berichtete sie mir, dass sie in Santiago extra einen tollen Bikini gekauft hätte, denn sie wolle in Finisterre zwei Tage Strandurlaub machen. Dann wollte sie wissen, wie viel Zeit ich denn in dem Ort verbringen wollte.
    „Na zwei Tage — ist doch klar“, dachte ich.
    „Das weiß ich noch nicht“, antwortete ich ihr. Die Aussage schien ihr zu ungenau zu sein, denn kurz vor unserem Ziel steigerte sie ihr Tempo und lief mir davon.

    An der Strandpromenade von Finisterre angekommen und in der Gewissheit, eintausend Kilometer hinter mich gebracht zu haben, schritt ich in voller Pilgermontur bis ans Wasser und ließ den Atlantik meine Wanderschuhe umspülen.
    Ich drehte mich um und wollte nach einem Hostal Ausschau halten, doch mein Blick fiel auf eine Frau, die bekleidet neben einem Rucksack am Strand lag. Bäuchlings auf ihr lag ein kleines Mädchen. Beide schienen zu schlafen. Sofort kamen mir die Geschichten von der blonden Frau, die mit ihrer achtjährigen Tochter auf dem Jakobsweg war, in den Kopf.
    „Das mussten sie sein“, dachte ich.
    Über den ganzen Weg wurden immer wieder Geschichten erzählt von einzelnen Personen und Pilgern, die irgendwie ausgefallen unterwegs waren. Da gab es den Eremiten mit seinem Hund, oder auch den Deutschen mit seiner Hündin Bärbel, die später mit Pfotenproblemen zum Tierarzt

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