1002 - Das weiße Schiff
Gesicht ins Wasser geraten konnte. Dann machte er sich auf den Weg.
„Komm zurück!" schrie St. Vain in panischer Angst. „Ich befehle es dir!"
Doc Ming blieb ärgerlich stehen und wandte sich noch einmal um.
„Hör um Himmels willen mit diesem Geschrei auf!" befahl er seufzend. „Willst du unbedingt die Fremden herlocken?"
„Du hast recht", gab St. Vain kleinlaut zurück. „Aber es ist trotzdem nicht richtig, daß du uns hier zurückläßt."
4.
Lange Zeit saßen die Betschiden schweigend unter dem Zuckerbaum und hingen ihren trüben Gedanken nach. Es war ungewöhnlich still in dieser Nacht. Nichts rührte sich um sie herum, und kein einziger Tierlaut war zu hören - ausgenommen das ferne Heulen der Chircools, an das sie sich allmählich gewöhnten.
Sie drängten sich enger aneinander und sehnten den Morgen herbei. Fast sehnten sie sich nach irgendeinem Laut. Aber als sie dann wirklich etwas hörten, glaubten sie, vor Angst den Verstand verlieren zu müssen.
Ein feines, helles Summen durchdrang die Nacht. Es war ein so fremdartiges Geräusch, daß sie es sofort mit den Fremden in Verbindung brachten. Sie dachten an Doc Mings Warnung und waren fest davon überzeugt, daß die Fremden nach den entflohenen Betschiden suchten.
„Sie können uns hier nicht finden", versicherte St. Vain in dem wenig überzeugenden Versuch, seiner Rolle als Kapitän gerecht zu werden.
„Da bin ich mir nicht so sicher", murmelte Keripha Yaal. „Du glaubst, daß der Baum uns schützt, nicht wahr? Hast du schon mal daran gedacht, daß wir bei dieser Finsternis den Baum gar nicht brauchen?"
„Eben", stimmte St. Vain zu. „Darum meine ich ja, daß wir uns keine Sorgen zu machen brauchen."
„Und du glaubst, die Fremden sind so dumm und suchen nach uns, obwohl sie keine Chance haben, uns zu finden?"
„Es gibt eine ganze Menge Tiere, die im Dunkeln sehen können", mischte Lanko Veird sich ein.
„Im Dunkeln, ja!" trumpfte St. Vain auf. „Aber nicht durch Bäume hindurch!"
„Und wenn sie Geräte haben, die es ihnen trotzdem erlauben?" fragte Keripha spöttisch.
St. Vain zuckte zusammen.
„Das sind Märchen", sagte er spontan. „So etwas gibt es nicht."
Undeutlich spürte er, daß die anderen sich versteiften und von ihm abrückten. Er wußte, daß er einen Fehler gemacht hatte. Hatte er nicht selbst immer wieder betont, wie unvorstellbar mächtig die Bewohner der SOL waren? Zwar war das Schiff, von dem sie sich bedroht fühlten, nicht mit der SOL identisch, aber indem er die Möglichkeit leugnete, daß gewisse Wundergeräte existierten, zog er auch seine eigenen Behauptungen zum Thema SOL in Zweifel.
St. Vain konnte sich nicht mehr allzu viele Fehler erlauben. Wenn die Mannschaft mit ihm unzufrieden war, konnte man ihn absetzen. St. Vain war viel zu gerne Kapitän, als daß er eine solche Situation absichtlich hatte heraufbeschwören wollen.
Zum Glück fiel ihm ein passendes Ablenkungsmanöver ein.
„Ich halte es nicht für wahrscheinlich, daß diese Fremden, die doch eher wie Tiere aussehen, solche Geräte gebaut haben könnten", korrigierte er. „Aber die Möglichkeit besteht natürlich, daß es ihnen doch gelungen ist. Dann könnte es aber auch sein, daß sie Geräte haben, mit denen sie uns aus großer Entfernung belauschen können."
Dieser Hinweis hatte die gewünschte Wirkung - es herrschte erneut Schweigen unter dem Zuckerbaum.
Es summte immer noch, und obwohl das Geräusch kaum lauter geworden war, hatten die Betschiden das unheimliche Gefühl, daß ihnen das summende Etwas bereits sehr nahe war. Einige Minuten vergingen, in denen das Summen leicht anschwoll, dann wieder verebbte, und dabei kam es immer wieder aus einer anderen Richtung. St. Vain war versucht, sich die Ohren zuzuhalten. Die Spannung in ihm erreichte einen Punkt, an dem er meinte, es nicht länger ertragen zu können. Wenn nicht endlich etwas geschah, würde er aufspringen und schreien, weil er sich auf andere Weise nicht von dem unerträglichen Druck zu befreien vermochte.
Plötzlich aber spürte er deutlich, wie sich etwas auf das Ufer des Teiches herabsenkte.
Er zog den Kopf ein, und zum erstenmal empfand er. die Ranken, die Doc Ming in die herabhängenden Zweige geflochten hatte, als störend. Ohne die Ranken hätte er vielleicht doch erkennen können, was außerhalb des geschützten Raumes um den Stamm geschah.
Wie zum Hohn flammte außerhalb des kleinen Schutzraums grelles Licht auf und ließ den Kapitän erkennen, wie
Weitere Kostenlose Bücher