1003 - Die Templer-Säule
hatte er ausgesehen?
Oft genug hatte ich mir darüber Gedanken gemacht. Und jetzt, als ich vor ihm stand, da war ich kaum in der Lage, sein Aussehen aufzunehmen und zu verkraften. Ich merkte nicht mal, daß ich sein Schwert bei mir hatte, ich mußte erst auf den Boden der Tatsachen zurückkehren und darüber nachdenken.
Er war nicht groß, wie man hätte meinen können. Die Menschen damals waren kleinwüchsiger gewesen, und da machte auch Salomo keine Ausnahme. Er hatte dunkles Haar, das glatt auf seinem Kopf lag. Ein breites Gesicht mit kantigen Zügen, in dem besonders die Augen auffielen. Ihren Ausdruck zu beschreiben, fiel mir schwer, denn sie waren einfach intensiv. Man fühlte sich von ihnen regelrecht durchleuchtet. Die Blicke durchbohrten mich, und sie schätzten mich genau ab, als wollte Salomo herausfinden, auf welcher Seite ich stand.
Salomo war nicht mal prunkvoll gekleidet. Das hätte zu ihm auch nicht gepaßt. Er trug ein in meinen Augen eher schlichtes Gewand von beiger Farbe. Sandalen an den Füßen und um die Mitte des Körpers einen Gürtel geschlungen, zu dem auch eine Scheide gehörte, in die das Schwert hineinpaßte, das sich nun in meinem Besitz befand.
Wir beide standen uns zwar gegenüber, sprachen aber nicht, sondern tasteten uns mit Blicken ab, als suchten wir eine Gemeinsamkeit, und die gab es tatsächlich.
Ich stand ja nicht nur dem König Salomo gegenüber, sondern auch mir selbst, denn ich hatte schließlich einmal als Salomo gelebt. Darüber nachzudenken lohnte sich in diesem Fall nicht. Ich wäre nur in eine schwächere Position geraten. Das hätte mich ganz einfach überfordert, so ehrlich war ich mir selbst gegenüber.
Auch kam es mir vor, als wären wir ganz allein in dieser großen Tempelhalle. Dem war nicht so. König Salomo war von einem Gefolge begleitet worden, aber seine Soldaten hatten sich an den Wänden des Tempels aufgebaut und so eine breite Lücke für ihren Herrscher geschaffen.
Hinter ihm hatten auch seine Thronträger angehalten. Der König war von seinem Thron und dann von der Plattform abgestiegen.
Allmählich spürte ich wieder Boden unter den Füßen. Ich hatte mich wieder gefangen und drängte gewisse Vermutungen lieber zurück. Der Blick dieser prüfenden Augen blieb, auch das Schwert war von ihm erfaßt worden, aber der König hatte es bisher nicht zurückgefordert.
Auch an ihm war die Begegnung nicht spurlos vorübergegangen.
Er bewegte seine Hände, ein Zeichen der Unruhe, und ich sah den Siegelring an seiner linken Hand. Wahrscheinlich hatte Salomo gespürt, daß es zwischen uns eine Gemeinsamkeit gab. Nur konnte er nicht wissen, welche das war, und er würde es auch nicht herausfinden, wenn er stumm blieb.
Es stand mir nicht zu, ihn als erster anzusprechen, und so wartete ich ab.
Der König enttäuschte mich nicht. Mit leiser Stimme fragte er:
»Wer bist du?«
Seine Stimme hatte sich gut angehört. Sie war angenehm warm und flößte Vertrauen ein. Mit meinem Namen konnte er sicherlich nichts anfangen, so gab ich ihm eine andere Antwort. »Ich bin derjenige, der dir dein Schwert zurückbringen will.«
»Ja, das sehe ich.« Er hob die Arme leicht an. »Aber du hast es nicht gestohlen, das weiß ich.«
»Woher?«
»Es war eine Frau. Das Weib erschien mir im Traum, glaubte ich. Erst später wußte ich, daß es kein Traum gewesen war und mich diese Frau tatsächlich besucht hat.«
»Ja, ich kenne sie.«
Seine Augenbrauen waren normal gewachsen und nicht sehr dicht. Ich sah, wie er sie zusammenzog. »Du kennst diese geheimnisvolle Frau?«
»Sie ist eine Botin.«
»Von dir geschickt?«
»Nein, aber sie gab mir das Schwert.«
»Warum tat sie es?«
»Damit ich es dir zurückbringen kann. Sie wollte, daß wir uns treffen. Deshalb hat sie es gestohlen. Kannst du das verstehen, Salomo?«
Er lächelte. »Es gibt so vieles, das ich nicht verstehe, denn es wird von unserem Gott gelenkt, aber ich glaube nicht, daß du ein Bote Jahwes bist.«
»Nein, bestimmt nicht. Ich bin gekommen, um dich zu sehen. Ich will nicht nur das Schwert zurückgeben, sondern auch mit dir sprechen, verstehst du?«
»Ja, du hast es mir gesagt. Aber du bist nicht nur ein Fremder für mich, du bist sehr fremd.«
»Das hast du gut beobachtet.«
»Woher kommst du? Gehörst du zu einem fremden Stamm? Bist du aus dem Land mit dem großen Fluß gekommen?«
Damit konnte er wohl nur Ägypten gemeint haben, und er kriegte auch eine Antwort. »Nein, ich stamme nicht von dort.
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