1003 - Die Templer-Säule
sehen.«
»Ich dachte es mir. Aber trinke bitte. Du wirst mir viel zu erzählen haben. Oder bist du müde und möchtest erst ruhen?« Er hielt sich die Schale an den Mund.
»Nein, ich möchte mit dir reden.«
»Dann ist es gut.«
Wir tranken beide. Es sah aus wie Wasser, es war auch Wasser, aber es hatte einen besonderen Geschmack. Es war leicht bitter, aber sehr erfrischend, wahrscheinlich mit dem Saft von Zitronen angereichert. Ich leerte die Schale, ließ das Obst aber liegen, denn Hunger hatte ich noch nicht.
Mir lagen so viele Fragen auf der Zunge, auch hätte ich gern mehr über die geheimnisvolle Königin von Saba gewußt, die ich ebenfalls schon erlebt hatte, aber ich mußte mich auf das Wesentliche konzentrieren. Für mich war die Lade wichtig. Ich mußte einen Weg finden, um an sie heranzukommen, ohne daß dabei meine Neugierde zu sehr auffiel.
Auch der König hatte seine leere Schale abgesetzt, und wir saßen uns nun gegenüber. Ich sah sein Lächeln und den Glanz in seinen Augen. Mit seiner Frage bewies er, daß er schon nachgedacht hatte.
»Du bist zu mir gekommen, weil dich ein großer Wunsch quält. Bitte, ich habe Vertrauen zu dir gefaßt. Ich werde dich anhören und dann die Entscheidungen treffen.«
»So einfach ist das nicht«, sagte ich. »Zuvor muß noch etwas geklärt werden.«
»Das ist immer so.«
Ich hatte das Schwert vor meine Füße gelegt, weil es mich behinderte. In dem glänzenden Metall sah ich mein leicht verzerrtes Spiegelbild. Salomo hatte mich beobachtet und fragte: »Ist es nicht eine wunderbare Waffe, John?«
»Das stimmt.«
»Der Schmied meines Vaters David hat es hergestellt. Im Traum ist ihm ein Bote Jahwes erschienen und hat ihm erklärt, wie er die Klinge schmieden soll.«
»Er ist ein Künstler gewesen.«
»Ja, und ich bin stolz darauf. Aber ich werde es dir überlassen, denn ich habe dem Krieg abgeschworen. Ich brauche es nicht mehr. Mein Haus ist ein Tempel des Friedens.«
»Ich freue mich über deine Worte«, sagte ich, »und möchte mich auch bedanken. Wahrscheinlich wird aber eine Zeit kommen, in der ich das Schwert gebrauchen kann, denn ich weiß, daß der Friede nie von langer Dauer ist.«
»In deiner Zeit.«
»Ja. Und auch in der Zeit davor. Aber ich möchte dir etwas zeigen, Salomo.«
»Oh. Was ist es?«
Ich hatte schon ein wenig überlegt, ob ich das Kreuz hervorholen und es dem König zeigen sollte. Es war ein Risiko, aber ich mußte es einfach eingehen.
Geschaffen war es von Hesekiel, als das Volk der Israeliten in der babylonischen Gefangenschaft schmachtete, und das war nach Salomo gewesen.
Er schaute mich an.
Verflixt, ich war nervös. Ich mußte mich von wirren Gedanken befreien, und trotz der Kühle standen die Schweißperlen auf meiner Stirn. Behutsam holte ich das Kreuz hervor, das – kaum lag es auf meiner Hand – einen Lichtreflex abstrahlte, weil es vom Schein einer Ölleuchte getroffen worden war.
Ich streckte den Arm mit dem Kreuz aus und schaute zu, wie der König es betrachtete. In seinem Gesicht stellte ich eine Veränderung fest.
Kannte er es?
Im Prinzip unmöglich, aber ich hatte mir abgewöhnt, über diesen Begriff nachzudenken.
Salomo war bleich geworden. Jetzt war es an ihm, auf das Kreuz zu zeigen. Dabei sah ich genau das Zittern seiner Finger. »Du«, flüsterte er mit kaum verständlicher Stimme. »Du hast das Kreuz, das Zeichen?«
»Ja, es gehört mir. Kennst du es?«
Er hob den Kopf. »Ja, ich kenne es, mein Freund.«
»Aber woher, das ist…«
»Aus meinen Träumen«, flüsterte er. »Ich kenne es aus meinen Träumen. Dort habe ich es gesehen…«
***
Beide waren wir zunächst so überrascht, daß wir nichts sagen konnten. In den Träumen hatte Salomo das Kreuz gesehen. Wer konnte wissen, wohin ihn die Träume geführt hatten? In welche Reiche? In welche Länder? In welche Zeiten…
Er wischte über sein Gesicht. Er schaute sich um, aber es war niemand da, der uns sah. »Ich sah auch die Kriege. Ich sah das Volk weinen, ich sah es in Knechtschaft liegen, und ich sah den alten Mann, der in einem Verließ saß und das Kreuz herstellte. Es war ein wundersamer Mensch, ein weiser Prophet, der viel, sehr viel gesehen hatte und manchmal vom Himmel herabschaute, als hätte ihn Jahwe getragen. Ich wußte, daß es ein besonderes Zeichen ist, aber ich habe nie herausgefunden, für wen es wichtig sein würde.«
»Für mich, Salomo.«
»Dann bist du einer von uns?« fragte er mit leiser Stimme.
Ich überlegte mir
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