1006 - Das Palladium
auch die Antwort. »Es war nicht so, daß ich unbedingt alles wissen wollte. Ich bin auf diesen Weg gelenkt worden, und zwar durch den Abbé. Er hat alles in die Wege geleitet. Er hat Besuch von Angares bekommen, der sich als letzter Hüter der Lade bezeichnete, was ich jetzt nicht mehr so recht glauben kann. Und er hat von den Gefahren gesprochen, die der Lade drohen. Ich sehe mich eigentlich nicht nur als Sucher und jetzt auch Finder an, sondern zugleich als Beschützer des Allerheiligsten.«
»Das ist wohl gut, John Sinclair!« lobte mich Hector. »Nichts anderes habe ich von dir erwartet.«
»Du weißt ja selbst, daß die Lade in Gefahr ist«, sagte ich. »Es gibt eine Gruppe von Templern, die von denen abstammen, die vor vielen Jahren in dieses Land kamen und auf einen König trafen, der ihnen sehr zugetan war. Sie haben sich mit dem König verbunden. Sie haben auch die Kirchen gebaut, und sie sind später nicht mehr inihre Heimat zurückgekehrt, sondern geblieben. Sie gaben ihren Schwur auf, denn sie haben sich mit der einheimischen Bevölkerung vermischt. Lalibela war hoch angesehen, man mochte ihn. Er ist nicht vergessen, und in seinem Geist machen die neuen Templer weiter. Sie wollen die politische Macht. Sie wollen die Regierung übernehmen, und dazu brauchen sie eben das mächtige Palladium.«
»Ja, das hast du richtig erfaßt. Nur werden sie es nicht bekommen. Sie sind nicht würdig. Sie wollten sogar mich töten, aber sie konnten es nicht. Ich habe ihren Anführer bestraft…«
»Hagir?«
»So hieß der Mann wohl.«
»Dann sind sie führungslos!« Diesmal hatte ich sogar geflüstert.
»Aber ich glaube nicht, daß sie aufgeben werden. Sie sind einfach zu nahe am Ziel.«
»Und sie haben mich hineingehen sehen.«
»Dann werden sie dir folgen.«
»Das glaube ich auch. Aber nicht sofort. Sie werden erst über den Tod ihres Anführers hinwegkommen müssen. Danach müssen sie jemanden bestimmen, der den Anfang macht. Und dann erst werden sie mir in die Kapelle folgen.«
»Ich glaube auch, daß sie sich dabei fest auf den alten König Lalibela verlassen. Sie stehen unter seinem Schutz, das hoffen sie zumindest. Mag sein Körper auch vermodert sein, der Geist ist es nicht, das weiß ich leider genau.«
»War er denn so schlecht? Hat er Mord und Totschlag unterstützt?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Es muß ihn geben, und er ist auch an mich herangekommen auf dem Weg über meinen toten Vater, dessen Stimme ich hörte.«
Wenn Hector de Valois überrascht war, so merkte ich es ihm nicht an. Er fragte nur: »Was sagte er?«
»Er warnte mich. Er hatte Angst ummich. Aber nur für einen kurzen Moment, dann war alles vorbei. Aber ich habe seine Stimme vorn in der Kapelle gehört. Etwas muß mit ihm geschehen sein, aber ich weiß nicht, was es ist. Die Schatten der toten Hüter haben ihn und meine Mutter getötet. Er wollte wohl nicht, daß mir das gleiche Schicksal widerfährt. Der Fluch der Sinclairs sollte nicht endgültig erfüllt werden. Das ist dann auch eingetreten. Ich erhielt die Hilfe eines sehr Mächtigen, und nur deshalb stehe ich vor dir. Es ist auch für mich der Beweis gewesen, meine Aufgabe fortzuführen. Das werde ich auch tun, obwohl ich zum erstenmal den Eindruck habe, völlig allein zu sein.«
»Warum?«
Ich senkte den Kopf. Ich preßte meine Lippen zusammen. Diesmal fiel es mir nicht leicht, die Antwort zu formulieren. »Wenn ein Sohn oder eine Tochter seine Eltern verloren hat, dann muß er sich einfach allein fühlen.«
»Ja!« hörte ich die Antwort. »Ja, ich verstehe dich sehr gut.« Mit einer tröstenden und zärtlichen Bewegung zugleich fuhr die Knochenhand des silbernen Skeletts über mein Haar hinweg, und diese Berührung tat mir sehr gut.
Die kurze Schweigepause wurde durch Hector de Valois unterbrochen. »Ich möchte, daß du weitermachst, John Sinclair. Du weißt, daß du der Sohn des Lichts bist. Du trägst das Kreuz. Du hast die Verantwortung, aber auch du mußt deine Grenzen kennenlernen.«
»Sicher.«
»Wir haben vorhin von den Templern gesprochen, die mich verfolgen werden. Laß es geschehen, tu nichts. Sie werden die Kapelle betreten, aber sie wissen nicht, daß sie auch zu ihrem Grab werden wird.«
»Grab?« Ich war überrascht.
»Sie werden sterben.«
»Warum?«
»Weil sie sich falsch verhalten. Gewisse Dinge dürfen niemals angerührt werden.«
»Dazu zählt also die Lade?«
»Ja.«
»Und was ist mit uns?« Die Frage hatte mir auf der Seele
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