1006 - Das Palladium
mächtiger Templer-Führer. Meine Erinnerung an das Leben des Hector de Valois war gelöscht worden. Ich wußte so gut wie gar nichts darüber. Hin und wieder tauchten Bruchstücke davon auf und auch nur in einem Zusammenhang mit ihm. So hatte ich ihm schon einmal als John Sinclair in einer anderen Zeit gegenübergestanden und mich mit dem echten Hector de Valois unterhalten. Wenn man so will, war es praktisch zu einer Begegnung mit mir selbst gekommen. Aber wir hatten uns nie mit Dingen beschäftigt, die die Bundeslade angingen, es war auch nie zwischen uns der Name Lalibela gefallen, obwohl ich einfach davon ausging, daß ihm der nicht unbekannt gewesen war. Hector hatte schließlich näher an Lalibelas Regierungszeit gelebt.
Und jetzt war er hier. Was hatte ihn aus seiner Totenruhe in der alten Schlucht gestört? Hatte er ebenfalls gespürt, wie schlecht es mir gegangen war, oder war er ebenfalls gekommen, um das Rätsel der Bundeslade zu lösen?
Die nahe Zukunft sah verdammt spannend aus. Meine Furcht war verschwunden. Ich fühlte mich glücklich, da mir ein starker Helfer zur Seitestand.
Er kam auf mich zu. Ich blieb stehen. Dann stoppte auch er und legte mir seine silbrig schimmernden Knochenfinger auf die Schultern. Die Berührung war für mich etwas Besonderes. Die Hände gaben einen nur leichten Druck ab, aber ich merkte ihn sehr deutlich und spürte einen warmen Strom durch meine Arme und wenig später auch durch den gesamten Körper rieseln. So konnte eine Hoffnung übermittelt werden.
Ich wußte auch, daß wir nicht stumm bleiben würden. Wir konnten kommunizieren. Zwar nicht miteinander sprechen, aber es gab andere Wege der Kontaktaufnahme.
Noch schwiegen wir und schauten uns an.
Ich hatte die letzten Erlebnisse, die mich beinahe das Leben gekostet hätten, vergessen. Ich sah eigentlich nur ihn, denn sein Gesicht zeichnete sich dicht vor dem meinen ab. Obwohl es völlig hautlos war und nur matt durch die silberne Farbe glänzte, spürte ich keine Furcht. Auch nicht, wenn ich in die leeren Augenhöhlen blickte, die allerdings nur auf den ersten Blick leer waren. Auf den zweiten schienen sie unauslotbar tief zu sein. Möglicherweise verbarg sich darin etwas, von dem kein Fremder etwas wußte. Wichtig war es bestimmt, ich glaubte es bereits zu spüren.
Ich wußte nicht, wie ich es bezeichnen sollte. Es war so gut wie unmöglich, einen Namen dafür zu finden, und deshalb bezeichnete ich es für mich als Seele.
Ja, ein Toter, der eine Seele hatte. So und nicht anders sah ich es an.
Hector de Valois wartete ab, während ich in meinem Kopf die erste Frage formulierte.
»Warum?«
Hätte er gelächelt, er hätte es sicherlich getan, das wußte ich, so aber »hörte« ich auf eine bestimmte Art und Weise seine Antwort.
Worte, die nicht akustisch klangen, sich aber in meinem Kopf zu einer Antwort zusammensetzten.
»Ich habe gespürt, John, daß du einen besonderen Weg eingeschlagen hast. Und ich wollte dich nicht allein lassen, denn ich weiß, wie gefährlich dieser Pfad ist.«
Darüber war ich erfreut und stellte meine nächste Frage. »Dann weißt du auch, wo wir uns befinden?«
»Sicher.«
Die Antwort war klar gewesen. Sie brachte mich trotzdem ein wenig durcheinander, und so fragte ich: »Hast du denn nie den Wunsch verspürt, diesen Ort hier aufzusuchen? Hast du niemals davon geträumt, die Bundeslade zu finden?«
»Doch John Sinclair, auch wir haben davon gesprochen. Damals, zu unserer Zeit. Aber wir haben es nie für sehr wichtig gehalten, den Ort der Lade zu finden. Man hat sich zu meiner Zeit auch nicht so sehr damit beschäftigt, denn es gab andere Probleme. Bestimmt hat es auch Menschen gegeben, die mehr wußten, nur haben sie ihr Wissen immer für sich behalten oder nur mit absolut vertrauenswürdigen Personen darüber gesprochen. Man hat der Bibel mehr geglaubt als heute, und die Lade selbst wurde über lange Zeit in diesem Buch der Bücher gar nicht erwähnt. Man hat sie totgeschwiegen.«
»Was mich betroffen macht, denn sie ist wichtig.«
Hector ließ sich Zeit mit der Antwort und sagte dann: »Ist die Lade wirklich so wichtig für die Menschen? So wichtig für dich? Ist es nicht besser, wenn man ihr das Geheimnis läßt, John? Du weißt jetzt, wo sie ist. Ich würde es dabei belassen, und ich weiß auch, daß du zu den Menschen zählst, die schweigen können, wenn es darauf ankommt.«
»Das ist wohl wahr.«
»Warum willst du dann alles wissen?«
Eine gute Frage, aber ich gab
Weitere Kostenlose Bücher