101 - Der Unheimliche aus dem Sarkophag
sie die Tür verschlossen hatte, ging
sie den Weg zurück, den sie am späten Nachmittag mit Claude Perin gekommen war.
Zwei Passanten begegneten ihr, aber die sahen
Ak-Hom nicht, der sich hinter vorspringenden Mauern und in Hofeinfahrten
versteckte, um nicht gesehen zu werden.
Aber das geschah nicht aus Angst. Es war
reiner Selbsterhaltungstrieb und Beherrschung der Gesetze, denen auch er
unterworfen war.
Erst mußte er wissen, wo Mireille Lecuré zu Hause war.
Dies war der nächste Schritt. Danach konnten
die anderen erfolgen, die auf jeden Fall kommen mußten . ..
Denn das Gesetz lautete: Eine Seele für sein
eigenes Leben, die zweite ihm zu Diensten, die dritte und alle weiteren zu
Ehren des Großen Orus.
Daran hielt er sich.
Als er wußte, wo Mireille Lecuré zu Hause war, erwachte seine Lust nach dem
ersten Opfer für Orus, dem er dieses Leben zu verdanken hatte.
Francine Dumont sollte das Opfer sein.
Ein Zufall führte sie mit dem schrecklichsten
Lebewesen aller Zeiten zusammen, und ein Mord, wie er grausiger nie passiert
war, ereignete sich an diesem späten, herrlich warmen Abend auf der
Seine-Insel.
Francine Dumont war neunzehn.
In diesem Alter denkt man normalerweise noch
nicht an Tod und Sterben, aber manchmal geht es ganz schnell. Francine hatte
einen Besuch gemacht. Auf Saint-Louis.
Nun wollte sie nach Hause, abends um zehn
Uhr.
Sie arbeitete als Serviermädchen im Hotel de
Ville. Um dorthin zu gelangen, brauchte sie nur über die Pont Marie zu gehen,
sich dann links an den Quais zu halten, und nach ein paar hundert Metern war
sie schon am Ziel.
Zahllose Male war sie diesen Weg schon gegangen.
Heute war es das letzte Mal...
Als sie das Ende der Brücke erreichte,
geschah es.
Hinter dem Pfeiler bewegte sich ein Schatten.
Francine hörte das Geräusch und warf den Kopf
herum.
Die Gestalt, die ihr gegenüberstand, schien
einem Horrorfilm entsprungen zu sein. Sie war so schrecklich anzusehen, daß
sich dem Mädchen die Haare sträubten und das Blut in den Adern gefror.
Francine wollte schreien. Doch nur ein
dumpfes Gurgeln kam aus ihrer Kehle.
Der Unheimliche aus dem Sarkophag preßte die
Hand auf ihren Mund und riß Francine brutal zur Seite.
Fast wäre ein Autofahrer, der nur fünfzig
Meter entfernt war und auf die Pont Marie zusteuerte, Zeuge des heimtückischen
Überfalls geworden.
Doch Ak-Hom erwies sich wieder mal als der
Schnellere.
Er tauchte mitsamt seinem Opfer im Schatten
des Brückenpfeilers unter. Hier am Ufer der Seine vollendete er seine gräßliche
Tat.
Francine wehrte sich verzweifelt. Sie schlug
um sich, sie trat. Aber es kam ihr vor, als schlüge und träte sie in die Luft.
Sie traf ihren unheimlichen Gegner nicht.
Dann stach etwas in ihre Bauchdecke.
Ak-Homs bloße Hände wurden zu tödlichen
Waffen.
Die verdorrten Finger schienen wie Stahlstäbe
zu werden, die alles durchdrangen.
Mehrmals stieß Ak-Hom mit seinen Fingern zu.
Das warme Blut aus Francines Körper lief über
die lederartige Haut der Unterarme und versickerte im ausgetrockneten Boden des
Seine-Ufers.
Die Überfallene merkte von alledem nichts
mehr.
Stumm wie ein Fisch sackte sie zu Boden, von
zahllosen Wunden bedeckt und blutüberströmt.
Francine Dumont war dem Grauen begegnet. In
einer dunklen Ecke unter der Brücke blieb das Serviermädchen liegen, während
das blutrünstige Ungetüm, das von einem unstillbaren Verlangen getrieben wurde,
seinen Weg in die Nacht fortsetzte.
Die schattengleiche Silhouette der
Schreckensmumie zeichnete sich gegen den mondhellen Himmel ab.
Ak-Hom tauchte unter, suchte wie eine Ratte
die finsteren Winkel und Ecken und nutzte dunkle Pfade und Wege, um zunächst
nicht sonderlich aufzufallen.
Aber das würde nicht immer so bleiben. Das
fühlte er.
Seine Kraft nahm zu. Das Opfer für Orus war
auch ein Opfer für ihn gewesen, denn er war ein Teil von Orus. und er würde dem
unheimlichen Gott, dessen Name aus den Büchern des Wissens gestrichen wurde,
immer ähnlicher werden.
Dann brauchte er überhaupt niemand mehr zu
fürchten.
Nichts konnte ihn vernichten. Er war
unverletzbar und unsterblich.
●
Zwei Triebe beherrschten ihn ständig: der
eine war der permanente Wunsch zu töten, den Menschen also, deren Nähe er
fühlte, auf grausame Weise das Leben aus den Körpern zu rauben.
Der andere: Nafri zu finden. Die Zeit war
gekommen, die Saat ging auf.
Allzuweit konnte sie nicht entfernt sein.
Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war,
ob tausend
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