101 - Der Unheimliche aus dem Sarkophag
oder viertausend oder zehntausend Jahre. Alles war wie ein Schlaf
gewesen.
So, als hätte er eine Nacht geschlafen und
wäre wieder aufgewacht.
Die veränderte Umgebung störte ihn
ebensowenig wie die anders aussehenden Menschen.
Er war auf etwas ganz anderes programmiert.
Daß er wieder lebte, verdankte er seinen
Helfern, die seine Leiche gestohlen hatten, und dann alles so planvoll
durchführten, wie er es von ihnen erwartet und verlangt hatte.
Er lauschte in sich hinein.
Er war wie ein Tier, das instinktiv mehr
erfaßte und auf der Suche war nach einem anderen Partner, der ihm ähnlich war.
Es gab nur eine einzige, die so war, wie er.
Nafri!
Er mußte sie suchen.
●
Larry Brent und Morna Ulbrandson hatten es
nicht eilig, ins Hotel zurückzukommen.
Während des Weges sprachen sie über Larrys
Besuch in Jean Merciers Wohnung.
Bei X-RAY-3 schien die Falle, in die alle
anderen gelaufen waren, jedenfalls nicht funktioniert zu haben. Sehr aufmerksam
kontrollierte der PSA-Agent seine Gedanken und Gefühle und konnte genau
unterscheiden zwischen dem, was er selbst wollte, und dem, was eigentlich nach
Merciers Absicht wichtig gewesen wäre.
Der Widerstreit der Gefühle wurde ihm völlig
klar.
Gleich morgen früh wollte er intensivere
Studien betreiben, was die Person Merciers betraf; er wollte herausfinden, was
für einen geheimen Kontakt der Mann hatte, daß er in die Lage versetzt wurde.
Macht auf Menschen auszuüben, damit sie ihre Zweifel vergäßen.
Aber das mußte einen Grund haben. Larry
kriegte das Gefühl nicht los, daß er einem Geheimnis auf der Spur war, von dem
er gerade erst einen Zipfel zu ahnen begann.
Seit einer halben Stunde waren sie unterwegs.
Nur wenige Menschen bevölkerten noch die Straßen. Lediglich die Bars und Cafés waren gut besetzt. Das würde sich auch vor
Mitternacht kaum ändern.
Sie standen vor einem Antiquitätenladen und
sahen sich alte Uhren an.
„Ich glaube, ich muß dir was sagen“, meinte
Larry.
„Na, da bin ich aber gespannt. So zu
vorgerückter Stunde und mitten auf der Straße. Ich nehme an, daß es das gleiche
ist, was auch ich dir schon die ganze Zeit sagen wollte.“
„Dann hast du’s also auch gemerkt?“ „Denkst
du, ich hätte Tomaten auf den Augen?“
„Es kommt darauf an, ob du wirklich den
meinst, den auch ich meine.“
„Mein’ ich, Sohnemann. Er ist seit gut
zwanzig Minuten in nächster Nähe. Ich möchte wetten, er stiefelt hinter uns
her, seitdem wir aus dem Haus gekommen sind.“
„Okay. Also will er was von uns.“ „Oder von
mir“, sagte Morna leise, leicht die Augenbrauen anhebend.
„Möglich“, grinste Larry. „Du hast die
schöneren Beine. Aber vielleicht kommt’s dem Monsieur gar nicht mal so sehr
darauf an. Wir werden verfolgt, Goldkind! Wir haben’s beide bemerkt, also ist
was dran. Ich schlage vor, wir verhalten uns weiterhin zum Schein so
nichtsahnend wie bisher und setzen unseren Spaziergang fort. Laufen wir noch
ein bißchen, und wir werden sehen, ob der großgebaute Mann mit den markanten
Gesichtszügen und dem vollen, schwarzen Haar uns weiterhin seine Begleitung
gönnt. Gehen wir zum Eiffelturm!“
„Du bist verrückt!“ entfuhr es der Schwedin.
„Ich habe eher an einen Spaziergang, aber nicht an einen Gewaltmarsch gedacht.
Wen willst du damit strapazieren? Unseren Anstandswauwau oder mich?“
„Ich habe an den Anstandswauwau gedacht. Ich
mag nicht, wenn fremde Männer hinter dir herstürmen. Ich will ihn ermüden,
vielleicht gibt er dann auf, meine Liebe.“
Sie piekte ihn neckisch mit dem Zeigefinger
in die Hüften. „Dann paß nur auf, daß du meinen Stachel nicht zu spüren
bekommst!“
„Oder du meinen“, erwiderte er trocken.
Morna schluckte. „Wie ich dich kenne, war das
wieder etwas Zweideutiges, Imker. Ich werde darüber nachdenken.“
„Tu’ das! Aber laß uns hier nicht länger
stehen. So schön sind die Uhren auch wieder nicht. Die eine steht übrigens.“
Damit packte er Morna unter den Arm und zog
sie mit. Sie benahmen sich wie ein verliebtes junges Paar, und hier in den
Straßen von Paris fiel das gar nicht mal so sehr auf.
Sie überquerten die Avenue.
Larry steuerte auf eine schmale Gasse
zwischen zwei Häuserzeilen zu.
„Jetzt sehen wir uns mal das Nachtleben an. Chérie“, strahlte er. Mit einem kurzen Seitenblick
vergewisserte er sich, daß der breitschultrige Mann noch immer in angemessener
Entfernung hinter ihnen her war.
Er schien ein Passant zu sein wie die
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