101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
wurde: «T rotz der weniger wortgebundenen Überlieferung ist der Änderungswille der Kopisten nur im Einzelfall weitreichend genug, um von einer bewussten Gestaltung des Textes und einer daraus hervorgehenden eigenständigen Fassung zu sprechen. Mechanisches Abschreiben hat die Textwiedergabe eher geprägt als eine reflektierte, kreative Bearbeitung.» 14
Hundertundeine Nacht ist ein vorzügliches Beispiel für diese Art schriftlicher Überlieferung arabischer Erzählliteratur. Der Schreiber der Aga-Khan-Handschrift, ʿ Abdallāh Ibn ʿ Abd al-Mawlā an-Na ǧǧ ūm, hat den Text von einer uns heute nicht mehr erhaltenen Vorlage abgeschrieben. Dabei treten die für arabische Erzählliteratur üblichen Tradierschäden auf: Dem Schreiber entging das eine oder andere Wort, dafür steht manches andere doppelt da. Auch einzelne Wörter stecken voller Schreibfehler. Buchstaben fallen aus, Konsonanten werden verdreht, und es ergeben sich – sicher unabsichtlich – kuriose neue Wortschöpfungen wie etwa al-Barākima (für al-Barāmika , die «Barmakiden») oder al-M a ʿ āliqa (für al - ʿ Amāliqa , die «Amalekiter»). Auch bedient sich unser Schreiber einer recht eigenwilligen Orthographie, verwechselt manche Konsonanten, insbesondere Dentale, fast regelmäßig mit ihren emphatischen Varianten und umgekehrt, schreibt lange Vokale kurz oder kurze lang. Solche Abweichungen von der klassischen arabischen Orthographie und Grammatik, die zum Teil auch auf die andalusische Sprachform zurückzuführen und damit gar nicht im eigentlichen Sinne als Fehler zu bewerten sind (s. S. 276 f.), werden in der Übersetzung nicht weiter berücksichtigt.
Daneben sind in unserer Handschrift aber auch inhaltliche Fehler enthalten. Solche Missverständnisse im Original stellen die Übersetzung vor besondere Herausforderungen: Wird der Fehler ins Deutsche mit übertragen, oder «korrigiert» man ihn stillschweigend? In dieser Übersetzung wurde in jedem Einzelfall individuell entschieden. Zuerst einige Beispiele für Korrekturen:
Mitten in der Geschichte vom jungen Mann und seiner Cousine springt der Schreiber in die Nachtformel, korrigiert sich kurz darauf aber selbst.
Original:
Als es Nacht geworden war, kam der König, brach das Siegel auf, und – kam der junge Kaufmann nach Hause und legte sich ins Bett, um zu schlafen.
Augenscheinlich ist hier die Nachtformel fälschlich eingesetzt worden, weil in der Binnenerzählung die Nacht hereinbricht, und zwar mit denselben Worten, mit denen auch die Nachtformel der Rahmengeschichte beginnt. Dieser Fehler wurde in der Übersetzung korrigiert.
Übersetzung:
Als es Nacht geworden war, kam der junge Kaufmann nach Hause und legte sich ins Bett, um zu schlafen.
In ähnlicher Weise wird anfangs der 49. Nacht Schahrasad schon das Wort erteilt, obwohl sie noch gar nicht in der Szene aufgetaucht ist. In der Übersetzung ist von diesem Fehler nichts mehr zu spüren. Es sind noch mehrere ähnliche Fälle aufgetreten, auch solche, in denen z. B. ein falsches Subjekt eingesetzt wurde, weil das im Verbalsatz voranstehende Prädikat dem Schreiber einen anderen Verlauf des Satzes suggerierte. In einigen wenigen Fällen hat sogar der Schreiber selbst das falsche Wort ausgestrichen; die richtige Lösung ist also ganz klar bezeichnet, und die nachträgliche Korrektur des Fehlers in der Übersetzung liegt auf der Hand.
Etwas kniffliger ist das Problem in der «Geschichte von Suleiman Ibn Abdalmalik Ibn Marwân und dem Amîr». Hier musste schon der Titel der Geschichte korrigiert werden, weil der genannte Feldherr (arab. amīr ) Suleiman selbst ist, wie der Verlauf der Geschichte zeigt.
Original:
Die Geschichte von Suleiman Ibn Abdalmalik Ibn Marwân und dem Amîr
Übersetzung:
Die Geschichte von Suleiman Ibn Abdalmalik Ibn Marwân
Doch die Komplikationen gehen noch weiter. Gleich am Anfang der genannten Geschichte erscheint der Protagonist, Sulaymān, der Sohn des Kalifen ʿ Abd al-Malik, mit dem biblischen Salomon (arab. Sulaymān), dem Sohn Davids, verwechselt.
Original:
~ Die Leute behaupten, o König,fuhr sie fort zu erzählen , ~ dass Salomon, der Sohn König Davids, schon im Alter von sieben Jahren Weisheitssprüche erfand, Gedichte sprach und jede erdenkliche Weisheit anbrachte.
Doch schon beim nächsten Auftreten des Protagonisten haben wir wieder den «richtigen» Sulaymān, also den Kalifensohn, vor uns. Dieser Fehler ist wohl dadurch zu erklären, dass der Schreiber der Handschrift
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