1010 - Der Computermensch
die Jackentasche und holte sein kleines Kombiwerkzeug heraus.
Auch ohne Tast- und Gesichtssinn fand er sofort den kleinen Schraubenzieher.
Er ritzte sich mit dem spitzen Ende einen kleinen Schnitt in die linke Hand, gerade so tief, daß ein Tropfen Blut heraustrat. Er konnte den Tropfen weder sehen noch spüren, aber er wußte, daß er da war und daß er genau das einzig Richtige tat.
Der Blutstropfen fiel zu Boden.
... Aktivierung ...
Er wußte nicht, woher dieser Gedanke plötzlich kam. Es war ihm auch egal, denn er hatte ja richtig gehandelt.
Die Umgebung tauchte wieder auf. Geräusche von sich nähernden Schritten drangen an sein Ohr.
Er kniete auf dem Boden und klammerte sich mit einem Arm an den Mast eines Hinweisschilds der Rohrbahn.
Ein Mann und eine Frau tauchten neben ihm auf. Der Mann packte ihn unter den Armen und zog ihn hoch.
„Ist etwas geschehen? Fühlst du dich nicht gut?" fragte er.
Boulmeester strich seinen Anzug glatt. An seiner linken Hand spürte er einen leisen Schmerz. Er mußte sich irgendwo gestoßen haben, denn in der Handfläche erblickte er eine kleine Wunde.
„Nein, nein", beeilte er sich. „Es ist alles in Ordnung. Ich bin nur mit dem Fuß umgeknickt und gestürzt."
Die Frau bückte sich und reichte ihm sein Kombiwerkzeug.
„Hast du das verloren?"
„Danke", murmelte Marcel Boulmeester und steckte die kleine Tasche ein. „Danke. Es ist alles in Ordnung."
Dann machte er sich auf den Heimweg.
Die submikroskopisch kleine Maschine, die sich aus dem Blutstropfen schleuste und sich von dem lauen Nachtwind davontragen ließ, bemerkte niemand. Sie konnte auch gar nicht bemerkt werden.
Der Weg des Winzlings war zielstrebig.
Er hatte eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.
*
Obwohl es schon nach Mitternacht war, kam Adelaie nicht zur Ruhe. Sie saß auf ihrem Bett und dachte nach. Sie war allein. Mortimer hatte sich sehr schnell in sein Zimmer zurückgezogen, als er ihren nachdenklichen Gesichtsausdruck gesehen hatte.
Sie ärgerte sich, weil Boulmeester ihre Vorhaltungen über die Widersprüche einfach ignoriert hatte. Mit Mortimers Hilfe war sie als die Person hingestellt worden, die die Fehler beging. Sie war nach wie vor fest davon überzeugt, daß sie sich nicht irrte.
Sie stand auf und ging zu dem Anschluß der Terra-Info. In Mortimers Wohnung gab es in jedem Raum ein Bildtelefon. Eine Weile überlegte sie noch, dann wählte sie die Nummer von Boulmeesters Institut.
„Ich habe versucht, am Abend Marcel Boulmeester zu erreichen. Er war jedoch nicht in seiner Wohnung. Auch vor einer Stunde hat er sich nicht gemeldet."
„Der Chef war den ganzen Abend über auf einer Münz- und Banknotenausstellung", erhielt sie zur Antwort.
„Weißt du das genau?" Sie erinnerte sich an die andersartige Auskunft, die Mortimer in ihrem Beisein erhalten hatte.
Ihr Gesprächspartner im Institut machte ein verlegenes Gesicht.
„Ich habe meinen Dienst erst vor einer halben Stunde übernommen, und das, was ich gesagt habe, habe ich von der Informationstafel so übernommen."
Adelaie überlegte erneut. „Kann diese Auskunft nachträglich geändert worden sein?
Wollte Boulmeester nicht in seinen Jagdklub gehen?"
„Das kann ich nicht mehr feststellen. Im übrigen wüßte ich nicht, warum er eine solche Nachricht nicht ändern soll, wenn er sein Vorhaben ändert."
Wieder eine Sackgasse, dachte Adelaie. Sie hatte sich von dem Anruf mehr erhofft.
Doch dann kam die Überraschung.
„Wenn du den Chef sprechen willst, so ist das kein Problem", hörte sie. „Er befindet sich seit 45 Minuten hier im Institut."
Wieder ein Widerspruch, überlegte Adelaie. Er hatte bei der Verabschiedung vor der Ausstellungshalle gesagt, er wolle in seine Wohnung.
„Danke, nicht nötig", sagte sie ausweichend und unterbrach die Verbindung.
Zweifel befielen sie. Mortimers Worte waren noch gut in ihrer Erinnerung. Sah sie wirklich etwas, wo gar nichts war?
Da war ein bohrendes Gefühl in ihr, das sie nicht locker lassen ließ. Sie kleidete sich wieder an. Für Mortimer hinterließ sie keine Nachricht, da sie nicht damit rechnete, allzu lange wegzubleiben.
Heimlich verließ sie die Wohnung. Ihr Ziel war das Institut. Unterwegs wollte sie sich überlegen, mit welchen Worten sie Marcel Boulmeester wohl aus der Zurückhaltung locken konnte.
Während sie in den zentralen Antigravschacht des Hochhauses nach unten glitt, kam ihr eine einzelne Computerbrutzelle entgegen. Natürlich besaß sie keine
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