1018 - Die Spur der irren Luna
der Anrufer ließ den anderen nicht erst zu Wort kommen.
»Cesare, Bruder, nimm dir zwei Männer, komm her und holt mich raus. Ich nenne dir die Adresse.«
Cesare hörte zu. Er war einverstanden. Trotzdem quälten ihn Fragen. Bereits im Ansatz wurde er von Ignatius unterbrochen. »Nein, nicht jetzt, Cesare. Ich bin angeschlagen, aber nicht fertig. Kommt nur so bald wie möglich und holt mich raus, das ist alles.«
»Gut, warte. Und gib auf dich acht.«
Ignatius lachte krächzend. »Klar, ich werde es versuchen. Bis später.« Ignatius war froh, das Gespräch beenden zu können. Es hatte ihn zu sehr angestrengt, denn noch immer mußte er mit den Nachwirkungen des Treffers kämpfen.
Er bekam sehr schlecht oder kaum Luft. Bei jedem Einatmen brannte das Innere seiner Brust. Auch saß ihm der Hals irgendwo zu, und wieder übermannte ihn die Schwäche.
Er mußte sich setzen.
Der nächste Ledersessel stand nicht weit weg. Ignatius ging auf ihn zu. Er kam ihm vor wie ein großes schwarzes Tier, das sich zur Ruhe gelegt hatte. Aber ein Tier, das auf schwankenden Planken stand. Sein Schwindel brachte Ignatius aus dem Gleichgewicht, doch der Mönch hatte Glück und schaffte es soeben noch.
Von der Seite her und über die Lehne hinweg rutschend ließ er sich in den Sessel fallen, der recht weich gepolstert war. Er sank tief in ihn ein und fühlte sich zumindest in den folgenden Sekunden etwas besser. Er streckte die Beine aus. Nach einigen Sekunden der Ruhe nahm die Umgebung wieder ihre Normalität an. Nichts bewegte sich oder schwankte mehr. Er sah die Umrisse klar.
Ignatius hatte alles getan, was getan werden mußte. Er konnte nur hoffen, daß es genug gewesen war, und allmählich konzentrierte er sich mehr auf den Fall. Er verbannte die Gedanken an sich selbst. So beschäftigte er sich mit der Zukunft und auch mit der Vergangenheit.
Wie sah die Zukunft aus - oder: wie konnte sie aussehen?
Sie würde mit der Vergangenheit zu tun haben. Ignatius konnte sich vorstellen, daß Luna Limetti die Dinge nicht auf sich beruhen ließ. Sie würde zurückkehren und nachschauen wollen, was mit ihm geschehen war.
Außerdem konnte sie es nicht riskieren, daß ein Toter zu lange bei diesen Temperaturen in der Wohnung lag. Er mußte beiseite geschafft werden.
Ignatius wartete.
Langsam verstrich die Zeit. Er wurde nicht ruhiger. Er spürte, daß sich etwas näherte. Das Gefühl der Unruhe übertraf sogar noch den Druck in seiner Brust. Er vergaß den Schmerz für eine Weile und war voll konzentriert.
Deshalb hörte er auch das Geräusch.
Ignatius zuckte zusammen, obwohl das Geräusch nicht in seiner unmittelbaren Nähe aufgeklungen war. Auch nicht im Raum, sondern tiefer, in der Werkstatt.
Kam Luna zurück?
Der Mönch saß da und wartete. Das Geräusch wiederholte sich nicht.
Zunächst nicht, so bekam er Zeit, nach seinem Kreuz zu fassen, das vor seiner Brust hing.
Ein Kreuz aus Eisen, aber eines, das nicht mehr die gleiche Form besaß wie noch vor wenigen Stunden. Die Kugel hatte es genau in der Mitte und an der dicksten Stelle getroffen, es ein- aber nicht durchgeschlagen und es nur deformiert.
Sein Retter…
War jemand gekommen? Habe ich mich geirrt? Es gab keine Antworten auf die bohrenden Fragen.
Er ging einfach davon aus, daß jemand erschienen war. Er richtete sich darauf ein, so konnten ihn die nächsten fremden Laute kaum überraschen.
Ignatius wartete nicht umsonst.
Wieder hörte er etwas.
Diesmal deutlicher. Nicht weit von der Treppe entfernt.
Schritte.
Jemand hatte die Werkstatt betreten. Er bezweifelte, daß es Luna Limetti war, deren Schritte waren nicht so schwer, und sie hätte entsprechend leiser aufgetreten.
Wer dann?
Ignatius lauschte. Sekunden später schon wußte er Bescheid. Da hörte er die Geräusche bereits dicht an der Treppe. Sekunden später nicht mehr, Denn nun bewegten sie sich über die Stufen hinweg nach oben. Ignatius saß da und wartete. Sein Herz schlug schneller als gewöhnlich. Er schwitzte wieder stärker. Für ihn stand fest, daß es nicht Luna Limetti und auch nicht seine Leute waren, die da kamen. Ein anderer bewegte sich die Stufen hoch.
Eine Einzelperson.
Der Gedanke daran ließ den Mann frieren, denn ein anderes Bild schob sich in seine Vorstellung hinein. Er dachte an die vergangene Nacht in der Ruine, als man sein Leben auslöschen wollte.
Dorthin hatte ihn Benjamin Torri geführt.
Nur war sein Bild verblaßt. Es hatte einem anderen Platz geschaffen. Einer Gestalt,
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