1019 - Das Vampirfenster
der Nähe, denn sie hatte es selbst so gewollt.
Ihre Angst nahm zu. Das Licht im winzigen Bad ließ sie brennen.
Sie mußte sich jetzt auf andere Dinge konzentrieren. Die Vorwürfe kamen zu spät. Aber vielleicht schaffte sie es, mit dem Blutsauger einige Worte zu reden, um ihn davon zu überzeugen, sie in Ruhe zu lassen und sich andere Opfer zu holen. Auch wenn der Gedanke daran unmenschlich war, aber es ging nicht anders.
Mit sehr kleinen Schritten kehrte sie in ihr Zimmer zurück. Kein Licht, sie wollte es so. Die Helligkeit würde ihren sowieso schon brennenden Augen nicht guttun. Sie saß in der Klemme. Sie hatte es sich selbst zuzuschreiben, aber sie war damals von diesem Vampir einfach zu sehr fasziniert gewesen. Ihn als reale Gestalt zu erleben, hatte sie alles andere vergessen lassen.
Zwischen Tür und Bett blieb sie stehen. Dunkel lag der Raum vor ihr. Das Licht aus dem Bad streute nur in den kleinen Flur hinein, nicht aber in das normale Zimmer.
Draußen strich noch immer der Wind an der Hauswand entlang, drang in den Raum hinein, erfaßte die Gardinen und spielte auch weiterhin mit ihnen. Sie strecken sich manchmal wie Finger aus, als wollte sie nach einer in der Finsternis stehenden Gestalt greifen, die nur von ihnen entdeckt werden konnte.
Gilian zögerte, sich dem Bett zu nähern. Es war ihr nicht geheuer.
In ihr war etwas hochgekrochen, mit dem sie nicht zurechtkam. Ein tiefes Gefühl der Furcht und zugleich der instinktiven Abwehr. Sie fürchtete sich vor ihrem eigenen Zimmer, obwohl niemand es betreten hatte.
Tatsächlich niemand?
Gilian schluckte. Schweiß lag als glänzender Strich auf der Oberlippe.
Etwas klapperte. Das Geräusch paßte nicht in die Umgebung. Es war zudem im Zimmer vor ihr aufgeklungen, als hätte sich dort jemand bewegt. Es war niemand da. Die Dunkelheit blieb so dicht wie ein schwarzer Filz. Sie stöhnte dennoch auf und mußte sich an der Wand abstützen.
Der Druck auf den Augen war noch stärker geworden, die dünne Haut am Hals zitterte, als bewegten sich kleine Tiere darunter. Sie konnte hier nicht rein, mußte stehenbleiben, die Angst hielt sie einfach zu fest. Sie bedauerte stark, was sie getan hatte, und sie merkte, wie die Furcht sogar kalt werden konnte. Ja, kalt kroch sie durch ihren Körper, als hätten sich die Venen mit diesem eisigen Schleim gefüllt. Gleichzeitig brannte ihr Kopf.
Das Klappern war auf einmal wieder da. Als wäre jemand dabei, mit einem Stock gegen den nach außen gestellten Fensterrahmen zu schlagen. Kurze, harte Schläge, fast schon wie ein beginnendes Trommelfeuer, das aber rasch im Keim erstickte.
Auf einmal konnte sie wieder lachen. Die Erleichterung mußte sich freie Bahn verschaffen. Sie wußte, was da vorgefallen war. Der Wind spielte mit dem Fenster, das sie nicht ganz festgestellt hatte.
Kein Grund zur Angst, erst recht keiner, um in Panik zu verfallen.
Nachdem dieser Gedanke vorbei war, fiel die Furcht schlagartig von ihr ab. Auf einmal ging es ihr wieder besser. Sie fühlte sich frei und atmete endlich tief durch.
Sie konnte wieder gehen. Zwar nicht so locker wie sonst, aber sie geriet auch nicht ins Schwanken.
Das Klappern würde sie immer stören. Sie würde nicht schlafen können, deshalb mußte sie das Fenster so feststellen, daß es auch dem Wind standhielt.
Es war kälter in der Nähe der offenen Scheibe. Wieder fror Gilian.
Diesmal war es ein normales Frieren, und schon allein darüber konnte sie froh sein.
Sie beugte sich vor, um nach der rechten Fensterhälfte zu greifen.
Ein Haken im Querholz hielt sie fest. Er bildete das Ende einer Stange, die in einer Öse steckte.
Es ging alles gut. Sie konnte die Fensterhälfte lösen, wollte sie zu sich heran nach innen ziehen, als es sie mit der plötzlichen Urgewalt einer Naturkatastrophe erwischte.
Von unten her schoß etwas in die Höhe. Gilian sah zunächst nichts, nur einen Schatten. Schnell, schwarz und drohend. Etwas löste sich von diesem Schatten und griff zielsicher zu.
Die Frau bekam keine Luft mehr. Am Hals wurde sie ihr abgewürgt. Von einer eiskalten Hand, so kalt, wie sie keines Menschen Hand sein konnte.
Obwohl der Schock sie auf der Stelle festnagelte, wußte sie sofort, wer da gekommen war.
Der Vampir aus dem Fenster!
***
Ich hatte zwar meine Runde durch das Dorf gedreht, hatte mir auch etwas von der Umgebung angeschaut und später am Bachrand die Idylle des fließenden Wassers genossen, aber meine Gedanken waren ganz woanders. Ich kam
Weitere Kostenlose Bücher