1019 - Das Vampirfenster
weniger Licht, was ihm nur gefallen konnte.
Die breite Gestalt bewegte sich an einer Reihe von Fenstern entlang. Sie suchte nach Licht. Hinter zwei Scheiben war es hell, die meisten jedoch lagen im Dunkel.
Sein Gesicht war den Fenstern zugedreht, während er an der Hauswand entlangsegelte. Die Zähne gefletscht, die Augen noch roter angelaufen, die Gier im Gesicht geschrieben.
Er spürte die Frau.
Er war da.
Sie wartete…
***
Gilian riß die Augen auf und ärgerte sich sofort darüber, daß sie eingeschlafen war. So tief, fest, völlig traumlos. Jetzt kam sie sich vor, als hätte man sie in eine tiefes Loch gesteckt, aus dem sie gerade noch gekrochen war.
Verwirrt schaute sich die Frau um, ohne sofort zu wissen, wo sie sich befand. Der Kopf war noch zu schwer, obwohl die Schmerzen verschwunden waren.
Es dauerte einige Zeit, bis ihr klar wurde, daß sie auf dem Bett ihres Hotelzimmers lag. Sie sah das graue Rechteck des Fensters und die Bewegungen auf der Innenseite. Sie stammten von den kurzen Gardinen, mit denen der Wind spielen konnte, denn auch weiterhin stand das Fenster spaltbreit offen.
Glieder wie mit einem flüssigen Metall gefüllt. Dazu ein schwerer Kopf wie nach einer durchzechten Nacht. Im Mund breitete sich ein widerlicher Geschmack aus, und dort klebte auch die trocken gewordene Zunge.
Gilian wollte so nicht bleiben. Sie mußte einfach etwas trinken. Es fiel ihr so schwer, sich aus dieser Lage zu lösen. Ihr Körper war starr geworden vom langen Liegen, und es bereitete ihr große Mühe, aus dem Bett zu steigen. Sie fühlte sich wie gerädert und hatte Mühe, sich überhaupt aufsetzen zu können.
Auf der Bettkante hockend wurde ihr übel. Schwindel überkam sie. Gilian fühlte sich gefangen. Sie steckte in einem Zimmer fest, aus dem sie nicht mehr hervorkam. Alles drehte sich vor ihren Augen. Es kam ihr vor, als hätte sie bereits eine Botschaft erreicht von diesem unheimlichen Wesen im Hintergrund.
Es brauchte Blut. Es war auf dem Weg zu ihr. Sie sah es nicht, aber sie spürte es. Böse Vorahnungen drangen wie Schwingungen durch das offene Fenster und auch durch das Mauerwerk an ihr Bett und überschwemmten den Körper. Der Vampir schickte seine Botschaft.
Sie sollte wissen, daß er sich bereits auf den Weg gemacht hatte.
Das Blei in den Knochen blieb, als sie sich hochstemmte.
Der Weg zur Tür war nicht weit. Aber sie mußte ihn mit kleinen Schritten zurücklegen und war dann froh, sich gegen die Klinke stützen zu können.
Weg aus dem Zimmer! Raus aus diesem Gefängnis, dessen Luft sie nicht mehr vertragen konnte. Die Klinke bewegte sich nach unten, aber Gilian drückte die Tür nicht auf. Im letzten Augenblick besann sie sich eines besseren.
Sie schob sich wieder zurück und drückte den Rücken durch. Für einen Moment schloß sie die Augen, denn in ihren Ohren hatte sie plötzlich ein ungewöhnliches Geräusch gehört. Es glich einem Pfeifen, und zugleich breitete sich in ihrem Kopf ein dumpfer Druck aus. Sie wußte, daß er immer näher kam. Seine Aura drang gegen sie. Er würde in ihr Zimmer dringen, er würde sie fertigmachen, er würde sie auf seine Art und Weise lieben.
Fast alles, was sie über Vampire gelesen hatte, schoß ihr durch den Kopf. All die schrecklichen und auch schaurigen Dinge, mit denen sie sich zunächst theoretisch beschäftigt hatte, sollten sich nun auf schlimme Art und Weise erfüllen.
Gilian Kyle drehte sich um. Wieder ging sie in ihr Zimmer hinein, stoppte aber dort, wo sich die schmale Tür befand, hinter der die Dusche und die Toilette lagen.
Sie drückte die Tür auf. Den Lichtschalter fand sie mit einem Griff.
Unter der Decke leuchtete ein weißer Mond als Lampe auf. Links befand sich das Waschbecken. Sie ließ das Wasser laufen, griff nicht nach einem Glas, sondern bückte sich über das Becken hinweg und trank von der kalten Flüssigkeit.
Das Wasser erfrischte sie.
Noch zweimal schluckte sie es, dann spritzte sich Gilian auch ihr Gesicht naß, bog den Oberkörper wieder hoch, um ihr Aussehen im Spiegel zu überprüfen.
Das Gesicht war naß. Die Haare waren es ebenfalls. Einige von ihnen klebten in der Stirn. Nasse Flecken breiteten sich auch auf ihrem Oberteil aus.
Es war ihr egal. Die Nacht hatte erst begonnen. Die Stunden würden auch weiterhin dahinrennen, aber sie wußte nicht, wie sie den nächsten Tag erleben würde und als was.
Für einen Moment dachte sie an John Sinclair. Jetzt hätte er ihr helfen können, aber er war nicht in
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