102 - Die Gottesanbeterin
Isogai Taketsura hatte in einer elenden Hütte am Stadtrand von Tokio gelegen, krank, keinen Yen in der Tasche, von den Göttern und Menschen verlassen. Ratten waren durch die Hütte gehuscht. Er hatte gewußt, daß sie ihn bald anfressen würden, da er zu schwach war, sie zu verscheuchen. Da hatte Isogai Taketsura die Beschwörung vorgenommen. Er hatte sich an den bösen Kami, mit dem schon ein paar von seinen Ahnen paktiert hatten, gewandt.
Zuerst war nichts geschehen. Isogai Taketsura hatte schon alle Hoffnung fahren lassen, aber noch am Nachmittag des gleichen Tages war eine Geldsendung von einem weitläufigen Verwandten eingetroffen. Es hatte sich um eine alte Schuld an Isogais Vater, die der inzwischen wohlhabend gewordene Verwandte nun bezahlen wollte, gehandelt. Isogai hatte nichts davon gewußt. Er hatte sich von dem Geld Arzneien und Eßwaren kaufen und sich eine bessere Unterkunft suchen können.
In der Folgezeit hatte ihn eine Reihe von glücklichen Umständen schnell nach oben gebracht. Ein paar von Isogais Verwandten waren Gyoji gewesen, Sumoringrichter.
Isogai hatte sich schon immer für den Sumosport interessiert. Als er genügend Geld hatte, kaufte er sich in die exklusive Sumovereinigung ein und gründete eine Sumoschule in Tokio. Er hatte Erfolg. Isogai besaß eine glückliche Hand bei der Auswahl der Kämpfer, die er in seiner Schule aufnahm; sie schnitten bei den Meisterschaften gut ab. Finanzielle Sorgen hatte Isogai Taketsura keine mehr, und er hätte zufrieden sein können. Aber dann meldete sich jener Kami, den er damals angerufen hatte.
Ein Kami war eine übernatürliche Macht, meistens gut und dem Menschen freundlich gesonnen. Isogais Kami war sehr mächtig, aber alles andere als gut. Er forderte Isogais Dienste dafür, daß er ihm geholfen hatte. Isogai Taketsura mußte gehorchen, wie er bald feststellte. Zunächst versuchte er, den Kami zu hintergehen, aber da machte er ein paar fürchterliche Erfahrungen, so daß es bei den zwei ersten Versuchen blieb. Isogai Taketsuras junge Frau und seine beiden kleinen Kinder waren auf grauenvolle Weise ums Leben gekommen. Seither hatte Isogai Taketsura es nicht mehr gewagt, sich noch einmal eine Frau zu nehmen. Er wollte sie nicht in sein Verhängnis mit hineinziehen und noch einmal die Qualen durchmachen, wie beim Tod seiner Frau und seiner Kinder.
Nun war Isogai Taketsura ein ergebener Diener seines dämonischen Kami. Er saß an dem Abend des Tages, an dem sein Maegeschira Aginosuke gegen den Ozeki Takasago gewonnen hatte, allein in seinem Hotelzimmer. Die Sumotori aus Isogais Schule feierten zwei Stockwerke tiefer im Speisesaal und in der Bar des Hotels „Hakone". Sie fraßen und soffen, daß dem Hotelpersonal die Augen übergingen.
Aginosuke, der große Sieger, hatte fünf Portionen Chankonabe gefuttert, jene Suppe aus Möhren, Kohl, Zwiebeln und Bohnen, die abwechselnd mit Fleisch, Huhn oder Fisch zubereitet wurde. Damit mästete man die Sumotori. Damit die Suppe auch richtig dick wurde, kochte man sie noch mit Sojabohnen und Zucker ein. Das war aber nur Aginosukes Vorspeise. Hinterher fing er an, sich die Speisekarte hinunterzufressen. Damit war er noch beschäftigt. Bisher hatte er einen Eimer Reiswein getrunken.
Die andern Sumotori aus der Taketsuraschule schaufelten auch rein, was sie konnten. Sie saßen an dem niederen Tisch wie eine Herde schmatzender Elefanten. Drei neugierige Sportreporter, die ihre Feier mit Interviews stören wollten, hatten sie bereits unter den Tisch getrunken.
Isogai Taketsura bekam nichts davon mit. Ihm war nicht nach einem Gelage zumute.
Yamato, Isogai Taketsuras zweiter Spitzensumotori, wandte sich an Aginosuke. Yamato hatte sich zurückgehalten, weil er am nächsten Tag einen wichtigen Kampf zu bestehen hatte. Er patschte Aginosuke auf die fleischige Schulter.
„Mein Bruder Aginosuke", sagte er, „es ist nicht recht, daß wir allein feiern und unser Herr Isogai nicht bei uns ist. Wenigstens eine halbe Stunde sollte er uns die Ehre geben, damit wir ein paar Trinksprüche auf ihn anbringen können."
Aginosuke nickte.
„Du hast recht, Bruder Yamato." Er rief einen Yuryo, einen Anwärter, vom unteren Ende der Tafel herbei. „He, Tsuboutschij, geh hinauf zu unserem Herrn Isogai und bitte ihn zu uns!"
Der Angesprochene gehorchte gewiß nicht gern, aber das Wort des Ranghöheren Aginosuke, des Champion, war für ihn Gesetz. Er raffte seinen Kimono über dem fetten Bauch zusammen und verließ den
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