1021 - Ich jagte den untoten Engel
lang, dann bewegte er sie in einer lockenden Geste.
Es kam mir alles vor wie inszeniert und zuvor genau abgesprochen. Auch Jane handelte nach diesen Regeln. Bisher hatte sie sich noch im Ruderhaus aufgehalten. Nach diesem Zeichen blieb sie nicht mehr an ihrem Platz.
Sie drückte die Tür auf. Dann erschien sie auf dem Deck des Schiffes.
Mein Herz schlug schneller als gewöhnlich. Auf dem Rücken lag ein Schauer, der sich auch nicht verflüchtigte, obwohl ich jetzt Bescheid wußte.
Mich hatte es noch tiefer getroffen, weil ich nicht begreifen konnte, mit welcher Natürlichkeit sich die Detektivin bewegte, als wäre dies die einfachste Sache der Welt.
Sie trug ein rotes Kleid, das oben enger anlag als unten, wo der Wind mit dem Stoff spielte. Wie auf seidenweichen Pfoten und möglicherweise mit einem Lächeln auf den Zügen ging sie zu diesem untoten Engel. Sie stellte sich nicht nur neben ihn, nein, sie drückte ihren Körper auch eng an seinen, schlang ihren linken Arm um seine Schultern und legte die flache Hand gegen seine Brust. Auf diese Art und Weise wollte sie zeigen, zu wem sie gehörte.
»Jane!« rief ich. Selbst bei dem einen Wort versagte meine Stimme, denn Janes Haltung machte mir zu schaffen.
»Was willst du von ihr, Sinclair? - Sie gehört mir.«
»Das soll sie mir selbst sagen.«
»Gut, Jane, sag es ihm!«
Doriel war sich seiner Sache so verflucht sicher, und ich wurde im Vergleich dazu immer kleiner.
Jane Collins behielt ihre Haltung bei. Sie sah für mich so fremd aus. Das war nicht mehr die Jane Collins, die ich kannte. Auf der anderen Seite wirkte sie nicht wie eine Person, die unbedingt unter Druck stand. So etwas tat man freiwillig. »Hörst du auch gut zu, John?« rief sie mir über das Wasser zu.
Schon allein der Klang ihrer Stimme gab mir einen Stich. Sie hatte so spöttisch gesprochen oder wie jemand, der davon überzeugt war, gewonnen zu haben.
»Ich höre dir sehr gut zu, Jane. Darauf kannst du dich verlassen. Letztendlich habe ich dich gesucht. Ich habe mir Sorgen gemacht. Aber nicht nur ich, auch Lady Sarah…«
»Vergiß sie, John. Vergiß dich ebenfalls. Vergiß auch mich. Ich gehöre jetzt ihm!« rief sie. »Ja, nur ihm, dem Engel, dem Mächtigen. Er ist es, auf und an dessen Seite ich stehe. Alles andere kannst du vergessen, John. Auch die Vergangenheit. Tilge sie aus deinem Gedächtnis. Ich habe mich zu dem neuen Schritt entschlossen. Ich weiß jetzt, an wessen Seite meine Heimat liegt.«
Ich war auf ähnliches vorbereitet gewesen. Trotzdem hatte mich diese Antwort hart getroffen. Wie ein mächtiger Schlag. Direkt hinein in den Magen. Ich war blaß geworden, obwohl sich die Wut in meinem Innern aufgestaut hatte.
Das war Jane Collins gewesen, die mir ihren zukünftigen Weg offengelegt hatte. Aber nicht die Jane Collins, die ich seit vielen Jahren kannte. Okay, sie hatte schon auf der anderen Seite gestanden. Da war sie als Hexe hinein in den Bann des Teufels geraten und hatte mir feindlich gegenübergestanden.
Wie auch jetzt!
Der Anblick diese beiden Personen war mir zuwider. Verändert sah Jane Collins nicht aus. Dieser untote Engel hatte sie innerlich geprägt und verändert, nicht nach außen hin, denn da zeigte sie sich weiterhin als hübsche Frau.
»Warum schweigst du, John?«
»Ich denke nur nach. Und zwar über dich, weil ich…«
»Laß es. Das lohnt sich nicht. Ich habe mich entschieden. Ich bleibe bei Doriel.«
»Bei einem schon tot gewesenen, der bereits im Grab gelegen hat. Akzeptierst du ihn?«
»Er ist ein Engel!«
Ich lachte über das Wasser hinweg. »Das glaubst du. Das hat er dir gesagt. Aber kannst du dir vorstellen, daß er dich belogen hat? Du kennst Engel, Jane. Du weißt über sie Bescheid. Doriel ist kein Engel. Wenn, dann ist er eine untote Kreatur, aber kein Engel, der dich beschützen will.«
»Er hat den Tod überwunden!«
»Ja, das hat er. Aber frage ihn nach Gründen. Erkundige dich, wie er es schaffte. Mit welchem Mittel. Er ist kein Mensch. Er ist besessen oder selbst ein Dämon. Du kannst es dir aussuchen, Jane. Danach denke darüber nach, ob du bei ihm bleiben willst.«
»Ich habe mich für ihn entschieden!«
Das mußte ich akzeptieren. Sie hatte wirklich mit einer Stimme gesprochen, die keinen Widerspruch duldete. Es war perfekt geworden. Sie hatte die Seite gewechselt. Sicherlich nicht freiwillig. Ich überlegte, wie dieser Doriel es geschafft und durch welche Hölle er Jane Collins dabei geschleift hat. Sie war eine Frau
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