1021 - Ich jagte den untoten Engel
wie ein Korken auf der Wasseroberfläche.
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Jane lebte. Loch Fannach hatte sie nicht verschluckt.
Jane Collins war verändert worden und längst nicht mehr die alte. Dennoch freute ich mich wie ein kleines Kind, als ich sie sah, und es gab für mich kein Halten mehr.
Ich legte mich auf die Seite und schwamm mit langen Kraulbewegungen auf die Detektivin zu. Sie sah mich, aber sie nahm mich nicht zur Kenntnis. Keine Bewegung. Kein Ausstrecken der Hand. Sie wollte nicht nach mir greifen. Ihr Gesicht sah so gespenstisch bleich aus, wie es auf der Wasseroberfläche auf- und abtanzte.
Jane trat Wasser. Dabei bewegte sie nur sehr leicht ihre Arme. Mein Boot schaukelte hinter ihrem Rücken auf den Wellen, während das andere noch immer von den zurückgebliebenen Energien zerstört wurde. Es gab noch einige heile Stellen, die aber wurden zerrissen, was von Lauten begleitet wurde, die sich beinahe schon menschlich anhörten, als würde jemand ächzen und stöhnen.
Mit einem letzten Schwung erreichte ich Jane, die mich einfach nur anglotzte. Ihr Blick war ein anderer oder fremder geworden. Sie nahm mich nicht zur Kenntnis, was sich auch nicht änderte, als ich sie ansprach.
»Los, Jane, zu meinem Boot!« Sie spie mich an.
Ich schloß für einen Moment die Augen. Ich war geschockt. Damit hätte ich nicht gerechnet, und es kam mir zugleich so entwürdigend vor. Auch ich trat Wasser. Beide ›standen‹ wir uns gegenüber und starrten uns an. Nichts regte sich in Janes Gesicht. Abwehr, das war das einzige, das ich aus ihren Zügen herauslas.
»Weg!« keuchte sie dann. »Du sollst verschwinden. Hau ab! Geh weg! Ich will dich nicht sehen!«
»Nein, du kommst mit!«
Sie schrie. Sie schüttelte den Kopf. Sie benahm sie wie eine Furie, denn sie schlug nach mir. Ihre Hände wirbelten auf mich zu, umgeben vom Spritzwasser. Sie wollte mir auch die Fingernägel durchs Gesicht ziehen. Dabei hatte sie vergessen, daß es unter ihren Füßen keinen festen Boden gab.
Plötzlich sackte sie weg. Ich bekam noch mit, daß Wasser in ihren offenen Mund drang, dann lösten sich ihre Umrisse wie in Glas eingesetzt auf, denn sie sank dem Grund entgegen.
Ich tauchte ihr nach.
Es war leicht, sie zu fassen. Mit Jane zusammen erreichte ich wieder die Oberfläche. Jetzt war ich gewarnt. Ein Blick in ihr Gesicht reichte mir.
Sie stand noch immer auf der anderen Seite. Sie wollte mir wieder an die Kehle. Diesmal war ich schneller.
Bevor ihre Hände zufassen konnten, traf sie mein Faustschlag.
Ihr Kinn war getroffen worden. Durch den Ruck wuchtete der Kopf nach hinten. Die Augen verloren ihr Leben. Sie wurden starr, denn ich hatte genau einen empfindlichen Punkt erwischt.
Bevor Jane wieder unter Wasser verschwinden konnte, griff ich zu, legte sie auf den Rücken, hielt sie im perfekten Griff und schwamm mit ihr zusammen dem kleineren Boot entgegen.
Zuerst hievte ich Jane an Bord. Dann enterte ich den Kahn, naß, aber auf eine gewisse Art und Weise zufrieden, denn ich hatte Jane Collins dem untoten Engel entreißen können.
Neben ihr blieb ich stehen. Der eine Schlag hatte ausgereicht. Sie war noch immer bewußtlos. In dieser Lage kam es mir zupaß; so konnte ich mich um andere Dinge kümmern, wie um das größere Boot.
Es war noch da.
Aber nur noch in gewissen Teilen, denn vieles war bereits zerstört worden. Die magischen Energien hatten überall ihre Spuren hinterlassen. Deck, Bordwände und auch das Ruderhaus waren in Stücke gerissen worden. Um das Boot herum schwammen Teile, die leichter als Wasser waren. Die anderen hatte längst die Tiefe geschluckt.
Ich war mit dem Leben davongekommen. Jane Collins ebenfalls. Aber sie war nicht mehr wie früher.
Das bereitete mir Sorgen.
Ich wollte nicht warten, bis das größere Boot versunken war. Ich wolle auch noch nicht sofort zum Südufer zurückfahren. Auf dem See hatten wir Zeit genug, um uns zu unterhalten. So war ich gespannt, was ich aus Jane herausbekommen würde…
***
Der Nachmittag neigte sich dem Ende entgegen. Der Wind war aufgefrischt, doch bis zum Einbruch der Dunkelheit würde noch viel Zeit vergehen. Schließlich hatten wir Juni. In diesem Monat waren die Tage besonders lang und die Nächte dementsprechend kurz.
Ich hatte eine alte Decke gefunden, die zwar nach Öl und Fett stank, aber das war in diesem Fall gleichgültig. Sie diente als Schutz für die tropfnasse Jane, die auf dem Rücken lag. Ich hatte mich neben sie gehockt und wartete
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