1023 - Monster-Queen
in einigen Minuten, denn es konnte möglich sein, daß sie sich in einem anderen Zimmer aufhielt und sich dort ausschlief.
Bevor er die Wohnung verließ, schloß Dancer das Küchenfenster.
Der Blick in die Tiefe war nicht eben berauschend. Dort unten lag ein Hinterhof, der nicht einmal im Hochsommer viel Sonne bekam, auch wenn die Kinder darin spielten.
Dancer steckte sich Geld ein. Er nahm auch den Schlüssel mit und verließ die Wohnung.
Im Flur stank es wie immer. Es war düster. Halbwüchsige hatten die Wände mit obszönen Sprüchen und den entsprechenden Zeichnungen beschmiert. Niemand wischte sie weg, und es war auch niemand da, der das wacklige Holzgeländer reparierte.
Er ging weiter. Stufe für Stufe ließ er hinter sich. Dancer hoffte, daß ihm niemand begegnete. Er sah die anderen Mitbewohner lieber von hinten als von vorn, und Joel hatte auch Glück, bis er das Erdgeschoß erreichte.
Dort stand sie, als hätte sie auf ihn gewartet. Sie hieß Dinah Brighton und hatte Ohren wie Blumenkohlblätter. Sie hörte und sah alles. Wenn ihr noch etwas fehlte, reimte sie es sich zusammen. Wie immer trug sie den Kittel mit dem Blumenmuster, und sie schaute dem herabkommenden Mann entgegen wie ein Feldwebel einem Rekruten. Ebenso scharf musterte sie ihn auch aus ihren dunklen, kleinen Augen.
Dancer entschloß sich, ihr freundlich zu begegnen. »Ich grüße Sie, Mrs. Brighton.«
»Ja, ich Sie auch.«
Mehr sagte die Frau nicht. Dancer wollte an ihr vorbeigehen, als die Quäkstimme sie aufhielt. »Sie haben aber einiges in der letzten Nacht da oben angestellt.«
Er blieb stehen. »Wieso?«
»Hatten Sie denn Besuch?« fragte die Frau bewußt harmlos.
Erst jetzt drehte sich Joel um. Er sah das breite und irgendwie auch platte Grinsen auf ihrem Gesicht und ebenfalls die funkelnden Augen, die auf ihn gerichtet waren.
»Was meinen Sie denn, Mrs. Brighton?«
»Damenbesuch.«
»Ich…?«
Sie lachte ihn meckernd an. »Ja, kann ich mir auch kaum vorstellen, denn Sie sind ja nicht gerade ein Bild von einem Mann. Aber die Geräusche waren eindeutig.«
»Was hörten Sie denn?«
»Das… ähm … das kann ich nicht wiederholen. Das war schon infam, war das.«
»Liegt bei Ihnen aber lange zurück, wie?«
»Über so etwas will ich nicht reden. Das habe ich auch nie so getrieben, Mr. Dancer.«
»Vielleicht hätten Sie es mal tun sollen, dann wäre aus Ihnen nicht so eine frustrierte Alte geworden. Einen schönen Tag noch, Mrs. Brighton.« Vor sich hingrienend verließ er das Haus.
Die hat es endlich mal gekriegt, die verdammte Wachtel, dachte er.
Weiber gibt es, das ist kaum zu fassen. Und so unterschiedlich. Die eine gleicht einer Göttin, die andere war mehr eine Hexe, wie eben die blöde Kitteltante.
Das Wetter hatte sich gehalten. Kein Regen, die Bewölkung war auch geblieben. Zwischen den einzelnen Wolken zeigte sich hin und wieder ein heller Streifen Himmel, und die Temperaturen mußten so um die zwanzig Grad sein.
Nicht schlecht.
Er kannte die Straße. Wer hier wohnte, der gehörte praktisch zu einer Familie mit den unterschiedlichsten Typen, die allerdings eines gemeinsam hatten.
Sie gehörten nicht zu den Großverdienern. Selbst die Geschäftsleute und Kneipiers nicht, denn deren Gewinnspannen waren längst nicht so hoch wie die der Geschäftsleute in den großen und weltbekannten Einkaufsstraßen. Hier herrschten eher Flohmarktpreise vor.
Nebenan war eine Wäscherei untergebracht. Sie wurde nicht von einem Chinesen betrieben, sondern von einem Taiwanesen. Der Geruch war jedoch der gleiche. Und die Menschen, die in den kleinen Kellerräumen schufteten, waren nicht zu beneiden.
Inline-Skater huschten an ihm vorbei. Aus einer Wohnung dudelte Musik. Zwei Girlies mit bunten Haaren und schrillem Outfit passierten ihn und streckten ihm die gepiercten Zungen entgegen, bevor sie kichernd verschwanden. Er kannte sie. Die beiden Früchtchen stammten aus der Nachbarschaft und gingen auf den Babystrich.
Viel Verkehr herrschte nicht. Wer durch diese Straße rollte, der wohnte hier oder hatte etwas anderes zu besorgen. Wie der Fahrer eines Lieferwagens, der am Straßenrand geparkt hatte und Kartons auslud, die er in einen Billigladen schaffte. Dort wurde alles mögliche verkauft. Von der Klamotte bis zum Kondom.
Joel Dancer schlenderte über die Straße. Er gab sich dabei bewußt locker und hatte die Hände in seinen Taschen vergraben. Das Haus auf der anderen Seite unterschied sich kaum von denen in seiner
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