1025 - Ich töte jeden Sinclair!
noch das Haar.
Vielleicht war es einmal schwarz gewesen. Jetzt aber hatte es die Farbe verloren, war grau geworden und umgab den gesamten Kopf wie ein mächtiger Busch aus Wolle. Es war aus der Stirn weg nach hinten gekämmt, wo es sich dann zu langen, lockigen Strähnen vereinigte, die auch an den Seiten des Kopfes herabhingen, aber die Ohren freiließen, die mir sehr groß vorkamen.
Graues Haar und grauer Bart.
Auch er war ungewöhnlich. Nicht dicht, nicht wuchernd, sondern dünn und struppig. Man sagte zu diesen Fäden Ziegenbart, aber so lächerlich wirkte er beileibe nicht. Er paßte zu dieser Erscheinung, als wäre er extra für ihn geschaffen worden.
Noch immer kam ich nicht damit zurecht, daß ich diesen Sinclair so überdeutlich sah, da er doch weit von mir entfernt und der anderen Seite des Friedhofs näher war als ich meiner.
Dazwischen war etwas. Eine Erscheinung, eine Projektion des Killers? Durchaus möglich. Und wenn es stimmte, dann hatte ich es bei dieser Person nicht mit einem normalen Menschen zu tun, sondern mit jemand, dem der Begriff Magie durchaus nicht unbekannt war.
Es hätte mich nicht gewundert. Da brauchte ich nur an mich selbst, an meine eigene Vergangenheit und auch an meine Wiedergeburten zu denken. Auch Geraldine Sinclair fiel mir wieder ein. Unser Name war belastet, wobei ich nicht einmal von einem Fluch sprechen wollte.
»Genug geschaut, John?«
»Noch nicht.«
Er lachte mich kurz aus. »Das kann ich mir denken. Ich weiß auch, was jetzt in deinem Kopf vorgeht. Du überlegst. Du willst wissen, wer ich bin und woher ich komme. Stimmt es?«
»Das kann ich nicht leugnen.«
»Aber du wirst nichts erfahren. Zumindest nicht von mir.« Er lachte wieder. »Oder vielleicht doch? Soll ich dir einen kleinen Hinweis geben und soll ich dich dabei kleinmachen?«
»Wie das denn?«
»Ich werde noch viele, viele Sinclairs töten. Ich werde das Blutbad weiterführen, und es gibt keinen, der mich daran hindern kann. Auch du nicht, John.«
Starke Worte. Eine brutale Ankündigung. Sollte ich ihr Glauben schenken? Das Wort Blutbad hatte mich erschreckt, und ich dachte dabei sogar noch einen Schritt weiter. Bisher waren zwei Sinclairs gestorben. Dies war in ihrer ureigensten Umgebung geschehen. Für mich hatte sich diese Erklärung allerdings angehört, als sollte es an den nachten Tagen durch diese Person zu einem Massensterben kommen.
Über den Vergleich erschrak ich, und mein Hals trocknete aus.
Sinclair hatte mich genau beobachtet und wahrscheinlich auch meine Gedanken erraten, denn er fragte mich: »Wie fühlt man sich, wenn man hilflos ist?«
»Hilflos? Wer sagt Ihnen, daß ich hilflos bin?«
»Das sehe ich dir an. Du weißt nicht, was du machen willst. Du kommst mit mir nicht zurecht. Du fürchtest dich davor, daß du sterben könntest, aber du denkst zugleich darüber nach, wie du mich stellen kannst. Noch hast du dich nicht entscheiden können, aber es wird Zeit, daß du es bald tust.«
»Ich habe mich entschieden.«
»Sehr schön.«
»Ich überlege nur, wie ich das Blutbad einordnen soll. Du willst es tatsächlich durchführen?«
»Ja, und wie. Ich muß es tun. Zuviel ist passiert. Ich habe es mir vorgenommen, und ich habe genau bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gewartet. Der ist bald da.«
»Wann und welcher Zeitpunkt?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich werde ihn dir jetzt noch nicht bekannt geben. Es ist durchaus möglich, daß du allein darauf kommst. Ja, das müßtest du eigentlich.« Er deutete so etwas wie eine Verbeugung an, aber nur, um mich abzulenken, denn als seine rechte Hand, die in der Tasche kurz verschwunden war, wieder zum Vorschein kam, da hielt sie einen Gegenstand fest, über den ich mich wunderte.
Ich hätte mehr eine Waffe erwartet. Ein Beil, ein Messer, wie auch immer, aber keine goldene Taschenuhr, die an einer ebenfalls goldenen Kette befestigt war. Er hielt die Uhr so, daß ich nur die Rück-, aber nicht die Vorderseite sehen konnte. Das Metall glänzte dabei wie ein kleiner Spiegel, auf dem sich goldenes Sonnenlicht gefangen hatte.
Als er sprach, zogen sich seine Augenbrauen noch mehr in die Höhe. »Es ist die Uhr des Lebens, John. Für mich ist sie das. Ich kann bestimmen, wann das Leben eines bestimmten Menschen endet. Das sagt mir meine Uhr.«
»Auch mein Leben?«
»Sicher, auch das«, gab er zu. »Das Leben eines jeden Sinclair.« Er lachte wieder.
»Dann würde mich noch interessieren, wie lange ich nach Ihrer Uhr noch zu leben
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