1029 - Evitas Folterkammer
genau, wie sie sich zu bewegen hatten. Sie bildeten einen Halbkreis. Dabei erinnerten sie uns an einen kompakten Nebel, dessen Bahnen sich eng zusammengedrückt hatten, um nur keine Lücken zu lassen.
Was mit dem Abbé geschehen sollte, das hatten Suko und ich sehr genau verstanden. Zum Glück hatte Evita Longine laut genug gesprochen. Für uns wurde es Zeit.
»Nimm du die Frau, Suko!«
»Okay!«
Wir starteten zugleich. Mein Ziel war die Mauer aus toten Seelen, die ich durchbrechen mußte.
Diesmal hielt ich das Kreuz in der Hand!
***
Auf dem kurzen Weg dorthin wurde ich an den unheimlichen Todesnebel erinnert, gegen den es so gut wie keine Waffe gab, abgesehen von meinem Kreuz, denn das zerstörte diese Masse. Ich hoffte darauf, daß es hier ähnlich oder ebenso sein würde und tauchte praktisch als lebende Person in den Halbkreis der Toten ein.
Mich überkam dabei ein ungewöhnliches feeling. Es kam mir vor, als wären sie da und trotzdem nicht vorhanden. Etwas streifte mich vom Kopf bis zu den Füßen, und ich glaubte auch, in meinem Kopf irgendwelche Stimmen zu hören.
Aber da war mein Kreuz!
Erwärmt hatte es sich schon. Doch jetzt, im direkten Kontakt mit der Welt des Bösen reagierte es so, wie ich es mir gewünscht hatte.
Für einen Moment sah ich das erschreckte Gesicht des Abbé in der unmittelbaren Nähe. Es sah aus, als wäre es aus einer dichten Tiefe nach oben geschwommen. Eine Fratze der Angst, darunter sein zusammengedrückter Körper, der sicherlich Schmerzen spürte, denn die anderen waren schon verdammt nahe an ihn herangekommen.
Ich wollte das Kreuz aktivieren, um mit der geballten Macht gegen die Geisterbrut anzugehen, aber das war in diesem Fall nicht nötig.
Hatten die Baphomet-Templer schon zu früheren Zeiten das Kreuz gehaßt, so war dieser Haß geblieben. Auch ihre nicht zur Ruhe gekommenen Seelen haßten das Kreuz. Sie zogen sich zurück, wobei einige von ihnen plötzlich aufleuchteten. Einen Moment nur, wie brennende Gardinen, die dann zusammenfielen und nichts mehr zurückließen.
Das geschah nur bei den wenigsten. Die anderen feinstofflichen Körper hatten die Gefahr erkannt. So schnell wie möglich zogen sie sich aus meiner Nähe zurück.
»Da, John, da!« keuchte der Abbé, der hinter mir stand und sich an meiner Schulter festhielt. »Sieh doch…«
Er zwang mich förmlich dorthin zu schauen, wo sich Evita Longine aufhielt.
Suko stand in ihrer Nähe, aber er tat ihr nichts. Für sie mußte eine Welt dabei sein, zusammenzubrechen. Sie konnte es nicht fassen, das zeigte auch ihr Gesichtsausdruck. Voll und ganz hatte sie auf ihre Totengeister gebaut, um jetzt zu erleben, wie sie durch die Kraft meines Kreuzes vertrieben wurden.
Sie suchten einen Ausweg, denn sie wollten entkommen und nicht vernichtet werden.
Als einziger Fluchtpunkt blieb Evita!
Es war ihr Gastkörper. Lange genug hatten sie ihn besetzt gehalten, waren dann aus ihm herausgeflossen und sahen ihn nun als die einzige Chance an.
»Tu nichts, Suko!« rief ich meinem Freund zu.
»Ist schon okay.«
Evita Longnine stand noch im Restschein des Lichts, so daß wir alles sehr gut erkennen konnten. Die feinstofflichen Wesen nahmen den gleichen Weg. Sie huschten in den weit geöffneten Mund der Frau, sie drängten sich auch in die Nasenlöcher hinein, nachdem sie Evita kurz zuvor wie Spiralen umflort hatten.
Ihren Weg fanden sie immer, und Evita veränderte sich. Sie spürte die innerliche Stärke, die sie durch die Seelen der Toten bekommen hatte.
Ihr Gesicht nahm einen harten Ausdruck an, nachdem ein Ruck durch die Gestalt gegangen war.
Sie schien zu wachsen, und der über ihren Körper streifende Lichtschein gab ihr optisch noch mehr das Aussehen von Größe.
Ich hatte Suko gebeten, sich um die Frau zu kümmern. Das wollte er auch. Er streckte den Arm aus, um sie zu packen.
Evita war schneller.
Sie schlug zu, erwischte Sukos Arm, und ich hörte meinen Freund schreien, was selten war. Der Arm sackte nach unten, als wäre er abgeschnitten worden.
Daß er ihn vorläufig nicht bewegen konnte, stand fest. Und Evita gab nicht auf. Wir hatten versäumt, sie zu durchsuchen und hatten nicht mehr damit gerechnet, daß sie mit einem Messer bewaffnet sein könnte. Sie hatte es unter der Kleidung getragen und riß die lange Waffe so plötzlich hervor, daß sie uns alle überraschte.
Der Gefolterte schrie auf, als er die Waffe sah. Wahrscheinlich hatte sie ihm manches Leid angetan. Das war jetzt nicht mehr wichtig,
Weitere Kostenlose Bücher