1029 - Evitas Folterkammer
sie mit beiden Händen hinein und holte einen dunklen, kantigen Gegenstand hervor, den Victor nicht identifizieren konnte. Aber er rechnete mit einem neuen Folterinstrument.
Evita betrachtete den Kasten von oben her. Sie wog ihn in der Hand, drehte sich dem Gefangenen zu und hob dabei das Gerät so vor das Gesicht, daß sie hindurchschauen konnte.
Eine Kamera!
Genau in diesem Moment erkannte selbst Victor den Gegenstand.
Die Frau hatte eine Sofortbildkamera aus der Tasche geholt. Sie war mit einem Blitzlicht versehen. Evita brachte sich in die richtige Position und drückte auf den Auslöser.
Victor bekam den Blitz kaum mit. Er befand sich in einem Zwischenzustand, in dem die Umgebung für ihn völlig uninteressant geworden war.
Nicht für Evita.
Sie fotografierte den Gefangenen und körperlich geschundenen Mann von allen Seiten und aus zahlreichen Perspektiven. So verwandelte sie die Folterkammer in ein makabres Fotolabor, betrachtete und begutachtete zwischendurch die geschossenen Fotos, lächelte dabei still in sich hinein und legte die Fotos in die Tasche, in der auch die Kamera wieder verschwand.
Alles war in ihrem Sinne gelaufen. Teil eins des Plans hatte sie hinter sich.
Teil zwei würde folgen.
Sie trat nahe an den Gefangenen heran, damit sie nicht zu laut sprechen mußte. »Du warst gut, Mönch, sehr gut sogar. Ich werde dich jetzt allein lassen, aber ich komme hin und wieder, um nach dir zu schauen. Du bist eine wichtige Person in diesem Fall, vielleicht sogar die wichtigste. Zumindest bis jetzt. Von nun an kommt es auf jemand anderen an, ob du überlebst oder nicht. Reagiert der andere nicht in meinem Sinne, wirst du hier elendig verrecken. Verstanden?«
Er hatte die Stimme gehört, aber er hatte die Worte nicht nachvollziehen können. Victor war in seinem eigenen Elend versunken und würde auch so schnell nicht wieder daraus hervorsteigen, das stand für ihn fest.
Um das leise Stöhnen des Gefolterten kümmerte sich die Folterfrau nicht. Sie drehte sich um, klappte ihre Tasche zusammen und zerrte auch den Stiel der Fackel aus dem Boden.
Ihrem Gefangenen gönnte sie keinen Blick mehr. Sie schritt die alte Steintreppe hoch, das Flackerlicht verschwand intervallweise, und schon bald legte sich die Dunkelheit über den Folterkeller, in dem nur das leise Stöhnen und Wimmern des Gefolterten zu hören war…
***
Wir waren am nächsten Morgen nicht erst ins Büro gefahren, sondern hatten Glenda Perkins von meiner Wohnung aus Bescheid gegeben, damit sie Sir James melden konnte, wen wir am Flughafen abholen wollten.
Natürlich war Glenda neugierig geworden. Sofort erkundigte sie sich, um was es ging.
»Das wissen wir selbst nicht.«
»Na, ob euch Sir James das glaubt?« fragte sie spitz.
»Er muß es.«
»Wie ihr wollt. Ich werde alles für euch erledigen. Könnt ihr schon sagen, wann ihr zurück seid?«
»Überhaupt nicht.«
»Und dann grüßt den Abbé, einen der wirklich netten Menschen, die sich manchmal in eurer Umgebung aufhalten.«
»Danke für den Rat«, sagte ich.
Suko fuhr, denn ich litt noch etwas unter den Nachwirkungen des vergangenen Abends. Der Rosé hatte mir eben zu gut gemundet und sich mit der Magensäure nicht vertragen. Aber da mußte man einfach darüberstehen, wobei ich mir auch kaum etwas anmerken ließ.
Kurz vor elf Uhr sollte die Maschine landen. Wir wollten schon früher am Airport sein und waren deshalb so zeitig losgefahren. Zudem weiß man nie, wie sich der Verkehr innerhalb Londons entwickelt. Da war es wirklich besser, nicht auf den letzten Drücker zu fahren.
Der Himmel zeigte bereits dichte Bewölkung. Leider waren die Wolken grau, und es roch nach Regen.
Wir quälten uns mal wieder in Richtung Westen durch zähen Verkehr. Jetzt, in der Ferienzeit, war London von Festlandtouristen überschwemmt, von denen nicht wenige mit dem Auto fuhren, was ich für blanken Unsinn hielt.
»Was könnte er wollen, John?«
Ich winkte ab. »Es hat keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er wird seine Gründe gehabt haben, es uns nicht zu sagen, das sollten wir akzeptieren.«
»Ist schon klar. Neugierig bin ich trotzdem.«
»Kann ich verstehen.«
»Ich denke, daß es um die Templer geht«, sagte Suko. »Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.«
»Ja, und das bedeutet zumeist Ärger.«
»Und der Abbé kommt allein. Gibt dir das nicht zu denken? Da muß etwas dahinterstecken.«
»Druck vielleicht. Es kann sein, daß man ihm gesagt hat, nur allein zu
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