103 - Das Geheimnis der Maske
vergangenen halben Jahr hatte ich Tomoe in fünf verschiedenen Häusern untergebracht. Ich wollte kein Risiko eingehen. Mein Herr durfte nicht erfahren, daß sie zu mir gehörte.
Endlich sah ich das Haus. Ich zügelte das Pferd, sprang aus dem Sattel und lief zur Tür. Eine schemenhafte Gestalt trat mir entgegen. Es war Nagao, einer der Männer, die ich zum Schutz meiner Geliebten abkommandiert hatte. Als er mich erkannte, senkte er den Bogen und verbeugte sich. „Bring das Pferd in den Stall, Nagao!" sagte ich. „Ich bin sehr zufrieden mit dir, daß du auch bei diesem scheußlichen Wetter Wache hältst."
Sein häßliches Gesicht blieb unbewegt. Er nickte und ging zum Pferd.
Ich sah ihm nach. Nagao war stumm, doch das waren alle Krieger, die Tomoe schützen sollten.
Ich trat durch die Tür. Yedo senkte das Schwert und verbeugte sich vor mir.
Bedächtig ging ich weiter.
Midori, eine von Tomoes Zofen, kam mir entgegen und nahm mir den klatschnassen Mantel ab. „Wie geht es deiner Herrin, Midori?"
„Bald ist es soweit, Herr. Sie ist meist sehr müde und schläft viel."
„Sag ihr, daß ich da bin und sie sprechen möchte."
„Wollt Ihr Sake, Herr?"
„Später. Zuerst will ich baden."
Ich durchquerte einige Räume und betrat einen Korridor, der zum Badehaus führte. Geniko, ein hübsches Mädchen, nahm mir die Kleider ab, und ich setzte mich hin. Sie schrubbte mich ab, dann glitt ich in den Badezuber. Das heiße Wasser tat mir gut. Ich spürte, wie meine Muskeln entspannten. Nach dem Bad ließ ich mich von dem Mädchen massieren und schlüpfte in einen einfachen Kimono und Riemensandalen.
Als ich das große Wohnzimmer betrat, erwartete mich bereits Tomoe. Sie verbeugte sich tief, und ich erwiderte ihre Begrüßung. Dann setzte ich mich auf ein Kissen ihr gegenüber und starrte sie an. Sie war klein, zierlich und unglaublich hübsch. Sie trug ein Kind unter dem Herzen. Ein Kind von mir. Bald würde ich Vater sein. Eine Vorstellung, die mir sehr gefiel.
Zwischen uns gab es keine Liebe. Sie war die Geliebte meines Bruders gewesen, den ich vernichtet hatte. Anfangs hatte mich gerade ihre Feindseligkeit und ihre Ablehnung mir gegenüber gereizt.
„Ich kann nicht lange bleiben", sagte ich. „Mein Herr kommt wahrscheinlich morgen zurück, dann kann ich dich in den nächsten Tagen nicht besuchen."
„Das macht nichts", sagte sie.
Wie üblich vermied sie es, mich anzusehen.
Sie freute sich nicht über das Kind, das sie erwartete. Ich hatte Angst, daß sie es sofort nach der Geburt töten würde. Das mußte ich verhindern. Sie war nicht so wichtig, wichtig war nur das Kind. Midori servierte warmen Sake. Ich wartete, bis sie das Zimmer verlassen hatte, griff nach dem Becher, drehte mich um und nahm meine Maske ab. Nachdem ich getrunken hatte, setzte ich die Maske wieder auf, stellte den Becher ab und musterte weiter Tomoe.
„Wie soll das alles weitergehen?" fragte sie plötzlich und starrte mich an.
Ihre Frage verwirrte mich. Mein Plan stand schon lange fest. Nach der Geburt meines Sohnes wollte ich Tomoe töten. Sie stellte ein zu großes Risiko für mich dar. Wenn mein Herr jemals erfahren sollte, daß ich ihn hintergangen hatte, dann würde er mich wahrscheinlich töten lassen. Es blieb mir keine andere Wahl: Tomoe mußte sterben. Aber das würde ich ihr natürlich niemals sagen.
„Ich werde mit meinem Herrn sprechen", antwortete ich. „Ich werde ihn meine Verfehlung gestehen und hoffe, daß er mir verzeihen wird. Dann können wir zusammen leben."
„Ich will nicht mit dir zusammen leben, Tomotada. Ich hasse dich. Ich verabscheue dich. Du bist ein Mörder.“
Ich beherrschte mich eisern. Hätte mir das irgend jemand anderer gesagt, wäre er auf der Stelle gestorben.
„Deine Beleidigungen berühren mich nicht, Tomoe", sagte ich laut.
Ich stand auf, warf ihr einen kurzen Blick zu und ging aus dem Zimmer.
Danach sprach ich mit ihren Dienerinnen und den Kriegern und gab ihnen genaue Anweisungen, wie sie sich nach der Geburt des Kindes verhalten sollten. Tomoe durfte keinen Augenblick mit dem Kind allein sein.
Meine Kleider waren noch nicht trocken, doch das störte mich nicht sonderlich.
Der Regen war schwächer geworden. Nagao brachte mir mein Pferd. Ich schwang mich in den Sattel und ritt los. Als ich die Burg sah, hörte der Regen auf.
Die Festung bestand aus mehreren turmartigen Gebäuden, von denen der Hauptturm sechs Stockwerke hoch war. Alle Gebäude waren mit schwarzen Steinplatten
Weitere Kostenlose Bücher