1041 - Der Rächer
krumme Dolche wirkten. Derartige Krallen wiesen nicht einmal Raubtiere auf. Sie waren so lang und spitz, daß sie einfach nicht natürlich sein konnten. Sie mußten aufgesetzt sein wie veränderte Fingerhüte.
Der Mann bewegte die Hände. »Ein Zeichen«, flüsterte er dem Pfarrer scharf entgegen. »Ein Zeichen der Hölle, das der Teufel gesetzt hat, um zu zeigen, wie sehr er auf meiner Seite steht. Es sind Blutkrallen, die alles zerreißen, was mich stört.«
Der Geistliche hatte begriffen. Nur konnte er sich nicht damit abfinden. Er schüttelte den Kopf und flüsterte: »Sie machen sich unglücklich, glauben Sie mir. Ja, Sie machen sich unglücklich. Nie hat der Teufel gewonnen, die andere Seite zählt immer zu den Verlierern.«
»Es gibt auf der Welt kein nie!«
Michael wußte, daß es auf sein Ende zuging. Hier erschien kein rettender Engel wie vom Himmel geschickt. Hier war er einzig und allein auf sich selbst angewiesen, und er wußte auch, daß er diesen Krallen nicht mehr entkommen konnte.
Seltsamerweise spürte er keine Angst vor dem Tod. Der Pfarrer war fest in seinem Glauben verwurzelt. Er war davon überzeugt, daß mit dem Tod nicht alles beendet war. Er hatte immer nach den Gesetzen des Christentums gelebt, er würde seinen Frieden finden, und er konnte auch dankbar sein, daß ihm der Allmächtige ein so langes Leben geschenkt hatte.
Aufrecht schaute er dem anderen in die Augen. Dort lag das Böse wie festgeschmiedet. Es war tatsächlich wie ein Gruß aus einer anderen Welt. Ein Teil von der Dunkelheit, in der die Seelen der Ungerechten schmachteten und brannten.
»Satan wird verlieren!«
»Neeiiinnn – das wird er nicht!«
Der Mann in der Kleidung des Priesters hatte gebrüllt und sich selbst den letzten Anstoß gegeben. Er warf sich nach vorn. Aber noch schneller waren seine Finger.
Sie trafen den Pfarrer in den Hals.
Der Mann prallte gegen die Tür. Dunkles Blut quoll aus den Wunden und rann in Strömen nach unten.
Pfarrer Michael sackte zusammen. Schmerzen hatte er nur für einen Moment gespürt, denn als er den Boden berührte, war er bereits im Teich der Toten…
***
Wir waren geflogen und hatten uns einen Mietwagen besorgt. Einen kleinen Geländewagen der Marke Rover, der ich irgendwie immer treu blieb, wenn es ging. Beide wußten wir nicht, was uns als Fahrtstrecke bevorstand, denn diese Gegend im Herzen Irlands war uns unbekannt. Es gab viel Landschaft, Weite, wenige Orte, dafür Hügel, Wiesen, lichte Wälder, eben Natur pur, die im Sommer sicherlich wunderbar anzusehen war und auch einlud, Urlaub zu machen.
Zu dieser frühwinterlichen Jahreszeit allerdings weniger. Es waren die Wochen des Nebels, und er hatte auch die Grüne Insel nicht verschont, obwohl wir uns nicht beschweren durften, denn er hätte dichter über dem Land liegen können.
So aber war er nur mehr ein fahnenartiger Dunst, der die weiter entfernt liegenden Umrisse leicht auflöste, und es war auch keine Sonne da, die ihn wegdampfte.
Wir waren von Dublin aus nach Westen gefahren. Hinein in dieses kompakte Land mit seiner wechselvollen Geschichte und seinen besonderen Bewohnern, die sich so leicht nichts sagen ließen, zu Fremden freundlich waren, aber mit ihrer Scholle verwachsen blieben.
Eben typische Iren, noch fest verwurzelt in den Traditionen ihrer Vorfahren, was wir immer wieder an den Namen der Orte erkannten, wenn sie in keltischer, für uns zungenbrecherischer Sprache erschienen.
Die Landstraße war recht gut ausgebaut, dennoch zog sich der Weg hin. Ich hatte das Lenkrad übernommen. Suko saß neben mir und schaute hin und wieder auf die Karte.
Ich mußte daran denken, wie oft wir derartige Touren schon hinter uns hatten. Wir waren hineingestoßen in die fremden Gebiete.
Wir hatten Unruhe verbreitet, weil wir eben den dämonischen Mächten auf der Spur waren, und auch in diesem Fall würde es sich nicht anders verhalten. Davon gingen wir aus.
Im Flugzeug hatten wir uns mit den Unterlagen beschäftigen können und waren nicht viel schlauer geworden. Es gab vier tote Priester, und alle vier waren verbrannt worden. Man wußte nicht, wer es getan hatte, und so blieb uns eben nur die dünne Spur des verschwundenen Lehrers.
Mir wollte nicht in den Kopf, daß dieser Mann auf eine derartige Art und Weise reagierte. Gut, er hatte etwas Schreckliches hinter sich und war Zeuge geworden, wie seine Frau und seine Kinder verbrannten. Aber so durchzudrehen, das fand ich schon ungewöhnlich. Ich begriff auch
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