1046 - Der Hexenturm
schaffen. Wenn wir von den Eulen angegriffen wurden, behinderten uns die Kleinen. Ich hatte das Gefühl, als würden die Kreaturen nur auf eine derartige Gelegenheit warten.
»Los jetzt!« Bill Conolly wollte nicht mehr länger warten. »Wir müssen einfach anfangen.« Er hob vorsichtig ein Kind an. »Oder seht ihr eine andere Möglichkeit?«
Wir sahen sie nicht. Zwar sprach Frantisek noch von der Nonne Genova, die jedoch hielt sich zurück. Wer von uns wußte schon, welches Spiel sie hier trieb? Es war wichtig, die Babys nach unten zu schaffen. Auf der zweiten Etappe würden wir sie zum Wagen bringen, und dann mußten sie unbedingt in ein Krankenhaus.
Jeder von uns nahm zwei Kinder. Nur Mara nicht. Sie preßte ihre kleine Tochter fest an sich. Ein zweites Kind zu tragen, wollten wir ihr auch nicht zumuten.
Den Anfang der kleinen Reihe machte ich. Bill ging am Schluß. Mara und der Pfähler blieben zwischen uns. Die beiden Lampen hatten wir festgesteckt, damit wir nicht im Dunkeln in die Tiefe steigen mußten.
Ich hatte mich schon oft genug in prekären und auch lebensgefährlichen Situationen befunden, aber dies hier war etwas anderes. Hier ging es nicht um mich, sondern um das Wertvollste, das eine Gesellschaft überhaupt besitzt - Kinder.
Neues Leben, eine neue Generation, die nicht schon kurz nach der Geburt zerstört werden sollte.
Mit diesen Gedanken machten wir uns auf den verdammten Höllenweg in die Tiefe…
***
Ja, wir schafften es. Wir brachten den ersten Teil hinter uns und auch den zweiten. Da gingen Mara und Marek allerdings nicht mit; die junge Mutter sollte mit ihrer kleinen Tochter nicht allein gelassen werden.
Es war uns nichts anderes übriggeblieben, als die Kinder neben dem Turm auf den kalten Boden zu betten, allerdings eingewickelt in unsere Jacken. Es war besser, wenn wir froren, als daß sich die Kinder verkühlten.
Wir konnten wieder lächeln. Zumindest ein wenig. Hexen-Eulen entdeckten wir nicht. Sie waren wie vom Erdboden verschwunden, und auch Genova hatte sich nicht gezeigt. Dafür war Bill gegangen, und hatte Palu geholt. Er sah schlimm aus. Seine Augen gab es nicht mehr, und das Blut war in Streifen aus den Höhlen geronnen. Bill hatte ihn zu uns geführt. Wir alle waren etwas verlegen, als wir ihm gegenüberstanden und nicht wußten, was wir sagen sollten.
Palu beschwerte sich auch nicht, aber er fragte nach den Kindern, und es freute ihn, als er hörte, daß sie vorläufig gerettet waren.
»Aber es gibt die Eulen noch - oder?«
»Leider ja.«
»Sie werden uns nicht in Ruhe lassen, das weiß ich. Sie können es nicht. Sie wollen siegen. Sie werden siegen. Ich habe es im Gefühl. Sie sind noch da.«
Niemand von uns widersprach ihm. Zunächst waren die Kinder wichtig, die zum Wagen gebracht werden mußten. Ein Weg durch den dichten Wald, auch voller Gefahren. Nicht allein durch die Eulen. Die Strecke selbst war nicht einfach.
Bill sah mir an, daß ich über etwas nachdachte. Da ich mich nicht dazu äußerte, wollte er wissen, wohin sich meine Gedanken bewegten.
»Das ist schwer zu sagen«, gab ich zu. »Es ist natürlich klar, daß wir die Kinder zum Auto bringen müssen. Andererseits aber denke ich daran, daß wir hier so etwas wie ein Zentrum haben. Ich kann mir denken, daß die Eulen es trotz allem unter Kontrolle halten.«
»Was möchtest du denn?«
»Sie tot sehen.«
»Ich auch.«
»Stimmt, Bill. Deshalb frage ich mich, ob es nicht besser wäre, wenn ich hier am Turm bleibe oder wieder zurückgehe und warte, wenn die Kinder im Wagen sind und ihr wieder zurück nach Bilic fahrt.«
»Nein«, erklärte Bill. »Das ist ein Irrtum. Du hast vergessen, John, daß die Eulen zumeist dort sind, wo sich auch die Kinder aufhalten. So irre und fast schon pervers es sich anhört. Diese Kinder sind die Zukunft der Hexen-Eulen. Wenn wir uns an die alten Geschichten erinnern, so haben wir immer gelesen oder gehört, daß Hexen früher auch kleine Kinder geraubt haben. Denk nur an das Märchen von Hansel und Gretel. Das ist so etwas wie ein Paradebeispiel.«
Es blieb mir nichts anderes übrig, als meinem Freund zuzustimmen. Eine gute Lösung hatten wir trotzdem nicht gefunden. »Nur gibt es da noch einen Joker«, sagte ich leise.
»Was meinst du damit?«
»Die Nonne Genova. Ich weiß nicht, wie alt sie ist. Jedenfalls ist sie tot und lebt trotzdem. Sie existiert in einem Zwischenreich. Sie kann nicht ins Jenseits eingehen, weil sie sich als Versagerin fühlt und das
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