1048 - Blutende Schatten
hineinschauen wollte. In einem fremden Keller mußte man immer mit einer plötzlichen Gefahr rechnen. Jemand konnte sich trotz der Helligkeit in einem der Räume versteckt halten und urplötzlich die Tür auframmen, um ihn anzugreifen.
Die Befürchtung brauchte er nicht zu haben, denn hinter den Türen lagerte nur tote Materie.
Hinter der letzten auch?
Nein, bestimmt nicht. Daran konnte er nicht glauben. Es war der Raum mit dem Licht, das hatte sein Freund gesucht und sicherlich auch gefunden.
Es leuchtete noch. Sehr schwach. Er erreichte kaum die offene Tür und damit den Gang.
Sugar warf einen ersten Blick in den Kellerraum.
Er sah Nico auf dem Boden liegen.
Der Schreck durchfuhr ihn wie eine heiße Welle, denn Nico sah aus wie tot…
***
Sugar wußte selbst nicht genau, wie er es geschafft hatte, den Kellerraum zu betreten. Jedenfalls kam er erst wieder richtig zu sich, als er neben Nico hockte und in dessen leichenblasses Gesicht schaute. Es hatte tatsächlich Ähnlichkeit mit dem einer Leiche.
Sugar wollte ihn ansprechen. Ihm fehlten die Worte. Er wollte auch etwas tun, wußte aber nicht, was am besten für beide war. Deshalb saß er auf dem Boden dicht neben seinem Freund und konnte nur den Kopf schütteln. Er sprach mit ihm, doch Nico gab keine Antwort. Seine Augen waren zur Hälfte geschlossen. Trotzdem konnte Sugar die Augen sehen, die so schrecklich leer geworden waren.
Es kostete ihn Überwindung, Nico zu berühren. Er tat es zunächst sehr vorsichtig und strich über die Schulter. Daß sich in seiner Nähe auch eine Statue mit menschlichen Umrissen befand, nahm er nicht einmal wahr. Für ihn zählte nur Nico.
Die erste Berührung hatte nichts gebracht. Er unternahm einen weiteren Anlauf. Diesmal verstärkte er den Druck so sehr, daß sich Nico sogar bewegte. Aber es kam von ihm nichts rüber. Sein Körper rutschte wieder zurück in die alte Lage.
Sugar gab nicht auf. Er kniete sich nun neben Nico und schlug mit beiden Händen gegen die Wangen. Das jedenfalls hatte er oft in den Filmen gesehen, wenn jemand versuchte, einen Ohnmächtigen wieder zurück in die Realität zu bringen.
Sugar lauschte dem Klatschen, das seine Hände auf Nicos Wangen verursachte. Fieberhaft wartete er auf eine Reaktion des Freundes. Nur ein Blinzeln oder ein Zucken der Mundwinkel hätte ihm zunächst gereicht, aber nicht diese verdammte Starre.
Erfolg!
Plötzlich klappte es.
Nico stöhnte.
Sugar hätte beinahe gejubelt. Er zog seine Hände sofort zurück und atmete zunächst einmal auf.
Jetzt ging es ihm viel besser. Wahrscheinlich brauchte er nichts mehr zu tun, denn Nico war dabei, zu erwachen. Er schlug die Augen auf, zwar nur sehr langsam und so, als lägen noch Gewichte auf den Lidern, aber er konnte plötzlich in Sugars Gesicht sehen, und der junge Mann glaubte auch, so etwas wie ein Erkennen in den Augen seines Freundes zu sehen.
»He, Nico, ich bin es!«
Der Angesprochene verzog die Lippen, als wollte er lächeln. Es blieb nur bei einem Zucken.
»Kannst du mich hören?«
Nico stöhnte leise auf. Dann bewegte er seine Arme und hob beide an. Er streckte sie seinem Freund entgegen. Sugar verstand die Geste. Er stellte sich wieder hin, reichte Nico die Hände und hielt ihn an den Gelenken fest.
So zog er ihn langsam in die Höhe. Er wollte nichts überstürzen, denn Nico war noch nicht ganz bei sich, aber er stand schließlich auf den Beinen. Zwar leicht schwankend, aber immerhin. Und er brauchte auch nur eine leichte Stütze.
»Geht es?«
Nico hob die Schultern. Dann strich er über Gesicht und Nacken. Zwei kleine Schritte ging er zur Seite und war sicherlich froh, sich auf den Beinen halten zu können.
Neben der Tür blieb er stehen. Mit der rechten Schulter lehnte er sich gegen die Wand.
Sugar lagen mehrere Fragen auf der Zunge. Er hätte sie gern schnell hintereinander gestellt. Nico war noch nicht fit, und so beherrschte er sich.
Erst als Nico ein Nicken andeutete, drangen die geflüsterten Worte über seine Lippen. »Kannst du mir sagen, was passiert ist, Nico? Was hat es hier gegeben? Als ich dich fand, warst du bewußtlos oder ohnmächtig.« Er hob hilflos die Schultern. »Ich weiß es ja auch nicht so genau, verdammt noch mal.«
»Du nicht - ich nicht.«
»Wie?«
»Ich habe keine Ahnung. Ehrlich.«
»Aber du bist doch in den Keller hier gegangen.«
»Ja, bin ich.«
»Und weiter.«
»Ich habe mir eine Brechstange besorgt. Ich sah das Licht schimmern und habe die Tür
Weitere Kostenlose Bücher