106 - Atomgespenster
Polizeibehörden nicht von sich aus auf die Idee gekommen waren,
nachzusehen, nachdem Mandy Gorlings Vorwürfe nie verstummten.
Nun hieß es, das Problem von der anderen
Seite aufzurollen. Dr. Funner mußte Rede und Antwort stehen!
Für Morna erübrigte sich die weitere
Anwesenheit auf dem Friedhof. Sie wollte nach diesem unumstößlichen Beweis
sofort aktiv werden.
Sie wandte sich um und hielt dabei den Schirm
ein wenig nach unten gesenkt, so daß ihr Blickfeld nach oben begrenzt war.
Morna sah nur drei Schritte von sich entfernt auf der anderen Seite des Grabes, direkt neben
einem Grabstein, zwei schlanke Beine, die in röhrenförmigen Blue Jeans
steckten.
Da war noch jemand auf dem Friedhof und damit
bei der Grabesöffnung anwesend, von dem niemand etwas wußte!
Das Geräusch des Grabens und das Rauschen des
Regens hatte die Schritte des geheimnisvollen Beobachters verschluckt
...
Morna riß den Schirm in die Höhe.
Der Beobachter - war eine Beobachterin!
»Mandy Gorling ?« kam
es wie ein Hauch über die Lippen der Schwedin.
Die ehemalige Tänzerin stand noch zwei, drei
Sekunden wie erstarrt.
Sie trug keinen Schirm bei sich und konnte
sich vor dem heftig niedergehenden Regen nicht schützen.
Mandy Gorling war bis auf die Haut durchnäßt.
Ihre Blue Jeans klebten an ihren Schenkeln, durch den Pulli hindurch
schimmerten ihre helle Haut und ihre Brüste.
Die Tänzerin schien aus einem Traum zu
erwachen, sah Morna und rannte los.
»Miß Gorling, so bleiben Sie doch stehen !« schrie X-GIRL-C noch hinter der Fliehenden her.
Mandy Gorling jagte in langen Sätzen davon,
verschwand zwischen den Grabreihen, und Morna nahm die Verfolgung auf.
Sie war mindestens ebenso schnell wie die
Tänzerin. Aber Mandy Gorling hatte den Vorteil, früher losgerannt zu sein und
hielt ihren Vorsprung.
Sie kam zuerst an den kleinen Seiteneingang.
Ihr Auto stand zehn Schritte von der eisernen Tür entfernt unter zwei uralten Kastanienbäumen.
Außer Atem warf sich Mandy ans Steuer ihres
Wagens und startete.
Ihre Augen waren verschleiert, und sie saß
wie abwesend da, als lausche sie auf eine ferne, leise Stimme, die sich nur in
ihr meldete, und die niemand sonst hörte.
Mit quietschenden Reifen radierte der Wagen
über die nasse Straße, wurde plötzlich beschleunigt, so daß er über die
Fahrbahn schlitterte.
Mandy Gorling bekam das Fahrzeug wieder unter
Kontrolle und raste los.
Sie schien genau zu wissen, was sie wollte.
Wußte sie es wirklich?
Morna verlor keine Sekunde und startete
sofort mit ihrem Leihwagen.
Wie kam Mandy Gorling auf den Friedhof? Wie
hatte sie von der Sache Wind bekommen?
Das Ereignis erinnerte die Schwedin
frappierend an das bisher ungeklärte Geschehen um Jacqueline Canven.
Die Konzert- und Theateragentin konnte sich
nicht daran erinnern, wie sie zu ihren Strahlenverletzungen gekommen war. Auch
sie hatte - offenbar gegen ihren Willen und ihr Wissen - etwas unternommen, was
ihr nicht bewußt geworden war.
Jacqueline Canven landete durch den lautlosen
Ruf, der an sie erging, mit großer Wahrscheinlichkeit mitten in den verseuchten
Gebäuden und Hallen des Atomkraftwerkes Mealburg.
Hatte Mandy Gorling auch einen >Ruf<
vernommen, der sie hierher lockte? Im Zusammenhang mit einer Anzahl
merkwürdiger Ereignisse waren eindeutig auch übersinnliche Phänomene
aufgetreten.
Morna gab Gas.
Mandy Gorling verließ Knoxville und benutzte
die Hauptstraße in Richtung New Orleans.
Schon nach wenigen hundert Metern schlug sie
eine andere Richtung ein. Die alte Straße, die früher nach Mealburg führte, war
ihr Ziel.
Mandy Gorling fuhr wie eine Wahnsinnige, als
könne sie es kaum erwarten, an ihr Ziel zu kommen.
Auch Morna Ulbrandson beschleunigte. Sie
wollte alles daransetzen zu verhindern, daß Mandy Gorling ein ähnliches
Schicksal erlitt wie Jacqueline Canven.
Was für eine magnetische Kraft ging von dem
verseuchten Gelände aus?
Morna gab Hup- und Lichtzeichen, in der
Hoffnung, die in eine unerklärliche Raserei verfallene Mandy Gorling von ihrer
Absicht fernzuhalten, sich in ein Gebiet vorzuwagen, in dem es nicht mit
rechten Dingen zuging und wo sie mit hundertprozentiger Gewißheit der Tod
erwartete. Jacqueline Canven war inzwischen, wie sie erfahren hatte, ihren
schweren Verletzungen erlegen.
Ein böser Geist beherrschte das ehemalige
Kraftwerksgelände. Seit vielen Jahren war alles ruhig geblieben, und nun -
schlagartig - gingen die Dinge los, wie Zeitbomben, die plötzlich ihre
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