1061 - Die Macht der Rhein-Sirenen
haben.«
»Wie kommen Sie darauf?«
Das Zimmermädchen lächelte verlegen. »Sie haben etwas geflucht, als man Sie nicht vorfand.«
»Gut, ich komme.«
Harry ging nach unten. Die Treppe drehte sich dem Eingangsbereich entgegen. Dort warteten die beiden nicht, sondern im angebauten Restaurant mit den breiten Glaswänden, durch die der Blick des Gastes auf den Rhein fiel.
Helmut Kluge war ein Mann mit dunklen Haaren, die schon einen Grauschleier bekommen hatten. Er war ziemlich stabil. Sein Gesicht zeigte an, daß er viel an der frischen Luft arbeitete. In der Tat war er als Bauingenieur oft unterwegs, hatte sich aber Urlaub genommen, als seine Tochter verschwunden war.
Günter Heller betrieb einen Zeitschriftenladen. Zusammen mit seiner Frau und seiner Schwester als Helferin. Er war ein Mensch, der immer etwas gebeugt ging. Sein fahles Haar war schütter geworden.
Bei ihm fielen die breite Stirn und die etwas sehr lange Nase auf.
Die Männer hatten sich jeder ein großes Bier bestellt, saßen sich gegenüber und sprachen leise miteinander. Sie waren die einzigen Gäste. Eine Mitarbeiterin deckte weiter hinten die Tische für das Mittagessen und kümmerte sich nicht um die Gäste.
Heller sah den Ankömmling zuerst. Er winkte Harry zu, und auch Kluge drehte sich um.
Sie kannten sich. Hatten schon mehrmals zusammen gesprochen.
Es ging nur um dieses Thema, aber sie waren dabei keinen Schritt weitergekommen.
Harry hatte es sich angewöhnt, die Menschen scharf zu beobachten, ohne daß es unbedingt auffiel. Bei den beiden Vätern wußte er sofort, daß etwas passiert sein mußte. Sie wirkten aufgeregt und zugleich übemächtigt.
»Gut, daß Sie da sind«, flüsterte Günter Heller. »Wir haben schon gedacht, Sie wären wieder abgefahren.«
»Nein, warum sollte ich?«
»Hätte ja sein können. Weil man in diesem Fall nicht vorankommt.«
»Unsinn.« Harry holte sich einen Stuhl vom Nachbartisch und setzte sich an das Kopfende. »Ich hatte nur kurz in Koblenz zu tun. Bin jetzt wieder zurück, wie Sie sehen können, denn ich erwarte Freunde aus dem Ausland.«
»Warum?«
»Es sind Spezialisten, die mir sicherlich helfen können und ähnliches erlebt haben wie Sie.«
»Sind da auch Frauen verschwunden?« fragte Kluge.
»Leider, meine Herren. Es besteht durchaus der Verdacht, daß das Verschwinden dieser Personen mit dem Ihrer beiden Töchter in Zusammenhang steht.«
Kluge und Heller schauten sich an, ohne etwas zu sagen. So quer konnten sie nicht denken, um das zu begreifen.
Harry lächelte. »Ich weiß selbst, daß ich Ihnen eine Erklärung schuldig bin, zuvor allerdings hätte ich gern gewußt, was Sie von mir möchten. Dieses Treffen war ja nicht verabredet.«
»Das stimmt«, sagte Helmut Kluge leise, nickte und trank einen Schluck Bier. »Unseren Frauen haben wir nichts davon berichtet. Sie wissen auch nicht, wo wir in der letzten Nacht gewesen sind. Sie haben gedacht, daß wir in der Kneipe hocken und uns betrinken. Das aber war bei Gott nicht der Fall.«
»Sondern?«
»Wir waren auf dem Rhein«, flüsterte Heller.
»Ach. In der Nacht?«
Harry erhielt keine Antwort. Die beiden Männer schauten sich nur an. Sie wirkten unschlüssig, wer am besten begann, alles zu erklären.
»Sag du es«, murmelte Günter Heller und quetschte die folgenden Worte hervor. »Ich kann es nicht.«
Helmut Kluge ballte seine Hände zu Fäusten. Es fiel ihm schwer zu reden, er mußte noch einige Male durchatmen und preßte hervor:
»Wir haben eine Nachricht von unseren Töchtern erhalten.«
Harry war wie elektrisiert. »Eine Nachricht? Das ist doch wunderbar. Also leben sie.«
»Das wissen wir nicht«, lautete die gequälte Antwort.
»Wieso?«
Die beiden Männer sprachen jetzt abwechselnd. Harry erfuhr, was ihnen widerfahren war. Auch er erlebte dabei eine Überraschung, weil er damit gerechnet hatte, daß die beiden Väter nur ihre Töchter zu Gesicht bekommen hatten. Das stimmte nicht. Es waren acht Gestalten gewesen, die über den Strom geschritten waren.
»Ha!« keuchte Heller. »Stellen Sie sich das vor. Diese Frauen sind über das Wasser gegangen.«
Stahl sagte nichts. Er schaute zunächst nur zu, wie die Männer zu ihren Gläsern griffen und tranken. Sie waren aufgewühlt. Durch den Bericht waren ihnen die Szenen der vergangenen Nacht noch einmal vor Augen geführt worden.
Harrys Gedanken bewegten sich. John Sinclair hatte von anderen Frauen gesprochen, die in den Bann dieser Hildegarda geraten waren. Er
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