1063 - Die Nacht vor Walpurgis
Schlangenaugen?
Jane schaute hinein, aber sie wußte es nicht so genau. Zwar schimmerten sie in bestimmten Farben. Zumeist grünlich oder türkis, auch mal violett, doch bei Wikka wußte man das nie genau. Sie war nicht in feste Regeln zu fügen. Sie war einfach anders, und sie konnte nicht als Mensch angesehen werden, auch wenn sie sich so gab. Sie war im Innern eine wahre Teufelin, deren Gefühle nichts mehr mit den menschlichen gemein hatten.
»Willkommen in meinem Reich, Schwester!« Ihre Stimme klang hell und kalt. Metallen, konnte man auch sagen. So wie sie sprachen eben die Herrscher. »Ich freue mich, daß du zurückgekehrt bist. Lange genug hat es ja gedauert, aber jetzt bist zu hier, Jane, und wir alle können sehr zufrieden sein.«
Nein, bestimmt nicht. Diese Antwort lag Jane auf der Zunge. Es war ihr nicht möglich, sie auszusprechen. Etwas hinderte sie daran.
In ihrem Innern hatte sich ein Damm aufgebaut. Sie konnte ihn sich selbst nicht erklären, gelangte allerdings zu dem Schluß, daß allein Wikkas Kraft es schaffte, sie zu blockieren. Es konnte auch daran liegen, daß noch ein Rest der ehemaligen Hexenkräfte in ihr steckten, aber darauf wollte Jane keine Wetten annehmen.
Wikka war in ihrem Element. »Eine verlorene Tochter kehrt zurück, um ihre Schuld zu büßen…«
Auf einmal konnte Jane sprechen. Es hatte sich tatsächlich in ihr etwas gelöst. »Schuld?« fragte sie. »Von welcher Schuld wird hier geredet? Ich bin mir keiner Schuld bewußt.«
»Du hast uns verraten. Du bist auf die andere Seite zurückgekehrt. Das haben wir nicht vergessen. Die alten Rechnungen stehen noch offen. In der Nacht vor Walpurgis wirst du sie begleichen, Jane Collins, das verspreche ich dir. Im Gegensatz zu vielen Menschen vergessen wir nichts, gar nichts. Irgendwo gehörst du noch immer zu uns, auch wenn du es nicht wahrhaben willst.«
»Nein, Wikka, nein, ich bin euch nichts schuldig. Ich habe mich entschlossen, wieder ein Mensch zu werden, um glücklich zu sein. Ich gehöre nicht in deine Welt. Es ist wahr, manchmal spüre ich noch das andere in mir, aber ich setze es dann dazu ein, um Menschen zu retten und nicht, um sie zu vernichten.«
Wikka schüttelte ärgerlich den Kopf. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen und dich auch nicht zu verteidigen. Es ist alles besprochen, der Platz ist perfekt, und meine gute Schwester Zora freut sich bereits darauf. Es wird ihr großer Auftritt werden, denn ich habe beschlossen, ihr die Macht zu geben.«
»Ja, die Macht. Die Macht an eine Tote. An eine Verbrannte. Damals haben die Flammen sie geholt und…«
Wikka lachte in Janes Worte hinein. »Sieht so jemand aus, der zu einem Raub der Flammen wurde?«
»Nein«, gab Jane zu.
»Und traust du mir so wenig an Kraft zu, daß ich es nicht schaffe, meine Schwestern zu beschützen? Ich habe sie nicht sterben lassen. Sie brannte, doch sie brannte nicht wirklich, denn ich habe eingegriffen. Etwas zu spät, das gebe ich zu, denn man hatte ihr bereits das Herz aus dem Leib geschnitten. Der Körper aber gehörte mir, denn ich griff ein, und niemand hat es gemerkt. Zora stand inmitten der Flammen, ohne zu verbrennen. Tatsächlich aber befand sie sich längst in meiner Welt, hier unter meinem Schutz. Was die anderen sahen, das war nur ein Abziehbild.« Sie kicherte. »Projektion, sagt ihr wohl in dieser Zeit. Eine Täuschung, eine Einbildung und Halluzination, denn Zora ist nie wirklich verbrannt. Es kam den Zuschauern nur so vor. Das Herz habe ich nicht retten können, aber ich habe dafür gesorgt, daß es überlebte und heute noch schlägt, wie du bestimmt weißt. Es ist wichtig für mich, aber auch für dich, Jane, denn nun komme ich auf das zu sprechen, was ich mit dir vorhabe. Es geht einzig und allein um das Herz. Ich habe es extra für dich aufbewahrt. Wir werden die Herzen austauschen. Wir schneiden dir dein künstliches Herz aus der Brust und pflanzen das der Zora ein. So stehst du dann für alle Zeiten unter meiner Kontrolle und wirst nicht mehr deinen eigenen Weg gehen können. Ich werde bestimmen, wann es aufhört zu schlagen. Ich bin die Herrin über dein Leben und auch über dein Sterben, Jane Collins. Jetzt kennst du meine Pläne und kannst dich darauf einstellen. Der Spiegel hat dich zu mir geführt, doch seine Zeit ist vorbei. Ich werde sehr bald dafür sorgen, daß er zerbricht und der Weg in die Hexenwelt verschlossen ist. Umgekehrt ebenso.«
Jane Collins zitterte. Sie wußte nicht, was sie sagen
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