1071 - Die Urnen-Gang
Major Blake die Umgebung unter Kontrolle hielt.
Wir kannten ihn noch nicht, aber wir trauten ihm alles zu. Für mich war er schon jetzt ein Satan.
Was er mit Kathy gemacht hatte, das war schlimm, sogar unmöglich, unbegreiflich. Er hatte sie verwandelt oder mußte sie erneut aus Staub hergestellt haben. Vielleicht aus der Asche der Toten?
Allein der Gedanke daran ließ mich erschauern, was Suko nicht verborgen blieb. Er hatte mich von der Seite her angeschaut und kein Wort gesprochen, aber ich schaffte es, seine Gedanken zu lesen, ebenso wie umgekehrt.
»Wir kriegen den Major, John!«
»Das ist im Moment nicht mein Problem. Ich denke über ganz andere Dinge nach. Wieso ist Kathy aus Staub? Kannst du mir das sagen? Mir jagen ja die schlimmsten Dinge durch den Kopf. So stelle ich mir vor, daß die echte Kathy verbrannt worden ist und dieser Major Blake ihre Asche benutzt hat, um mit ihr zu experimentieren.« Da Suko in den folgenden Sekunden schwieg, fragte ich:
»Oder ist dir das zu weit hergeholt?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich möchte auch nicht darüber nachdenken. Aber es ist schon schlimm.«
Über Möglichkeit und Unmöglichkeit wollte ich nicht reden. Wir hatten jetzt die Straße erreicht, die nach Nackington führte. Das blasse Straßenschild mit dem schwarzen Rand wies mit seiner Spitze nach links. Die Straße selbst führte schnurgerade auf den Ort zu, dessen Bild sich unter den Schatten der Dämmerung abmalte. Wir sahen die Dächer der Häuser und auch einen schmalen Kirchturm, der sie überragte.
Das Gut war nicht zu sehen. Es konnte sein, daß sich unser Ziel hinter den Baumgruppen verbarg, die überall herumstanden.
Ich fuhr wieder an. Diesmal mit Licht. Die blasse Helligkeit strich über den Belag der Fahrbahn hinweg, der an einigen Stellen aufgerissen war. In der Breite, so daß die Risse die Fahrbahn durchzogen wie zittrige Adern.
Und wir sahen Sonja wieder. Sie fuhr weit vor uns. Aber auch sie hatte das Licht eingeschaltet, und es brannte auch die rote Heckleuchte, die wie ein zu groß geratenes Glühwürmchen über die Straße hinwegtanzte.
»Hast du Sonja alles geglaubt, John?«
»Zunächst ja.«
Suko war skeptischer. »Ich weiß nicht, ob sie uns alles erzählt hat. Da habe ich meine Bedenken.«
»Wir werden sehen.«
Ja, wir sahen auch. Aber anders als wir es uns vorgestellt hatten. Woher der Wagen so plötzlich gekommen war, hatten wir nicht mitbekommen, aber er war auf der Straße zu sehen, und zwar dort, wo auch Sonja herfuhr. Leider waren wir zu weit entfernt, um erkennen zu können, um welche Marke es sich handelte, jedenfalls war es ein dunkles Fahrzeug, und normal kam mir der Stop auch nicht vor.
Auch Suko hatte angehalten.
Ich reagierte sofort. Schaltete die Scheinwerfer ab, ließ den Rover noch etwas rollen, um ihn dann abzubremsen.
Mit laufendem Motor warteten wir ab und waren beide der Meinung, daß bald etwas passieren mußte…
***
In Sonja wirkte die Begegnung mit den beiden fremden Männern noch nach. Sie war zu ihrem Fahrrad gelaufen, hatte sich in den Sattel geschwungen und war losgefahren.
Sie war so traurig, so unendlich traurig. Auch deshalb, weil sie Kathy nicht gesehen hatte, im Gegensatz zu den beiden Männern. Die hatten sie entdeckt und sogar mit ihr gesprochen, und wahrscheinlich hatten sie Kathy auch vertrieben.
Sonjas Augen brannten, als bestünden die Tränen aus Säure. So genau konnte sie nicht sehen, die Straße verschwamm vor ihren Blicken, als sollte sie aufgesaugt werden. Der Wind kam ihr kühler vor, und er drückte immer wieder gegen ihr Gesicht.
Es war wie so oft.
Sie würde zurück nach Nackington fahren. In das Haus ihrer Eltern gehen, sich dort in ihrem Zimmer aufs Bett legen, nachdenken, weinen, verzweifeln, keine Hoffnung schöpfen und sich wieder so allein fühlen, denn mit ihren Eltern konnte sie über Kathy nicht reden. Sie hatte es oft versucht und war immer abgeschmettert worden, denn man wollte ihr nicht glauben. Die beiden konnten einfach nicht begreifen, daß Kathy noch leben sollte, wenn auch auf eine andere Art und Weise.
Man sprach im Ort nicht über Kathy. Dieses Thema war tabu. Sie war verschwunden, und selbst für Sonjas Eltern hatte sie kaum existiert, denn sie schwiegen sich über das Thema ebenfalls aus. Immer wenn Sonja davon anfing, wurde sie gestoppt. Zumeist von ihrem Vater, der ihr erklärte, daß sie ruhig sein sollte, damit sich die Mutter nicht zu Tode grämte.
Deshalb hatte Sonja all das für sich
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