1087 - Wolke im All
Schwerkraft, die das Bett simulierte, reichte, um sie in der Schwebe zu halten, vermittelte ihr aber gleichzeitig eine leise Information über ihre Lage. Sie diagnostizierte mühelos eine fetale Position, und sie war sich der Möglichkeit bewußt, daß irgendwelche Beobachter dies und das daraus ableiten mochten, aber es interessierte sie nicht wirklich. Sie fühlte sich wohl, und sie war bestrebt, diesen Zustand beizubehalten. Das gelang ihr auch hervorragend. Störend wirkte lediglich dieser Traum.
Es mußte sich um einen Traum handeln. Schließlich war sie nur ein untergeordnetes Mannschaftsmitglied an Bord der BASIS. Wie kam sie also dazu, sich einzubilden, daß Waylon Javier höchstpersönlich zu ihr gekommen wäre?
Dennoch erschien der Traum ihr als ungeheuer real.
Javier hatte neben ihrem Bett gestanden und auf sie herabgeblickt. Sie hatte ihn ganz deutlich sehen können, ihn und den abgerissenen Kittel, den er stets zu tragen pflegte.
Und jedes Mal, wenn sie daran dachte, schien der Traum sich zu wiederholen.
So wie jetzt.
Sie sah Javier, und sie hörte seine Stimme.
„Wie, zum Teufel, bist du darauf gekommen, dieses Küken dort hinauszuschicken?"
fragte Javier und sah Sarko Mehldau vorwurfsvoll an. Sarko stand ebenfalls neben dem Bett und blickte bekümmert drein.
„Sie ist kein Küken!" sagte er dennoch trotzig. „Sie hat die Grundausbildung mit guten Noten beendet, und sie hat sich im Lauf unserer Reise als eine der wenigen Sensitiven qualifiziert, die wir an Bord haben."
„Ist sie eine Mutantin?"
„Nein. Du weißt sehr gut, daß wir keine Mutanten an Bord haben."
„Ja, sicher. Aber wie gut ist sie wirklich?"
„Sie ist sensitiv. Das ist alles."
„Na gut. Sie ist auf jeden Fall sensitiv genug, um sich uns jetzt in diesem Schockzustand zu präsentieren."
Javier wandte sich an den dritten Mann, der neben Janines Antigravbett stand.
„Was meinst du dazu?"
Herth ten Var drehte bedächtig seinen kahlen Schädel und blickte zwischen Janine, Mehldau und Javier hin und her.
„Ich hatte noch nie etwas mit diesem Mädchen zu tun", sagte er schließlich langsam.
„Janine Hare ist für mich eine unbekannte Größe. Aber eines steht fest: Sie hat sehr heftig auf die letzten Ereignisse reagiert."
„Vielen Dank", knurrte Javier. „Du bist mir eine große Hilfe!"
Der Ara, Chefarzt an Bord der BASIS, zeigte sich unbeeindruckt.
„Die beiden anderen wissen nicht viel", fuhr er gelassen fort. „Es ist durchaus denkbar, daß Janine anders reagiert. Wir müssen Geduld haben. Wenn wir behutsam vorgehen, wird sie sich vielleicht erinnern."
„Woran?"
Ten Var zuckte die schmalen Schultern.
„An das, was sie an Bord des Igelschiffs erlebt hat", sagte er nachdenklich. Er warf einen Blick auf Javiers Hände und fuhr fort: „Vielleicht würde es helfen, wenn du sie berührst."
Javier blickte das schmale, dunkelhäutige Mädchen in dem Antigravbett skeptisch an.
„Na gut", murmelte er schließlich resignierend. „Schaden wird es ihr wohl kaum, und es ist einen Versuch wert."
Und damit beugte er sich vor und legte seine blauschimmernden Hände auf Janines Schultern.
Es war ein seltsames Gefühl für Janine, diese Hände zu spüren. Im ersten Augenblick war ihr die Berührung unangenehm, aber das ging schnell vorbei, und dann war es, als würde eine Schleuse in ihrem verkrampften Geist geöffnet. Sie hatte vorher geglaubt, sich wohl zu fühlen. Erst jetzt erkannte sie, wie unnatürlich und verspannt ihre Haltung gewesen war. Sie entspannte sich, streckte sich aus, und gleichzeitig wich der furchtbare Druck von ihrem Verstand.
Die Erleichterung war so groß, daß sie bewußtlos wurde.
Ihre Bewußtlosigkeit ging in tiefen Schlaf über. Im Traum fand sie sich erneut in dem fremden Schiff wieder, suchte zwischen den vergehenden Wänden nach Henry und Mor, traf auf das Ungeheuer, floh in nackter Panik, stellte fest, daß das Ungeheuer nur in ihrer Phantasie existierte, erwachte in dem Antigravbett und sah Javier. Dieser Kreislauf hielt sie gefangen, und sie verharrte lange Zeit darin, aber allmählich wurde der Traum vom Schiff weniger bedrohlich, sie erkannte die Wahrheit über das Ungeheuer früher, und sie versuchte, Javier mitzuteilen, was sie gesehen hatte.
Der geträumte Javier aber hörte ihr nicht zu. Er wiederholte stur und monoton genau das, was er beim erstenmal gesagt hatte. Es war zum Verrücktwerden. Janine schrie das, was sie zu sagen hatte, laut hinaus, aber weder Javier, noch
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