1093 - Blutkult um Angela
Halsseite hinweg.
Jetzt kam es auf Angela an. Ich war gespannt, wie sie sich verhalten würde. Wenn der Vampirkeim stark genug in ihr war, dann konnte sie die Bitte nicht ausschlagen, dann brauchte sie das Blut, um weiter existieren zu können.
Sie hatte jedes Wort verstanden. Durch ein Nicken deutete sie es an, um die Königin der Nacht schöpfte ebenfalls Hoffnung.
»Willst du es tun? Darf ich den Anfang machen, bevor alle sich verändern?«
Die letzten Worte hatten mir überhaupt nicht gefallen. Jetzt war mir klar, wie der Plan aussah. Die Gäste waren verrückt. Sie befanden sich auf dem falschen Dampfer. Was sie in dieser Nacht vorhatten, konnte man als normal denkender Mensch einfach nicht hinnehmen. Sie wollten ihr eigentliches Leben wegwerfen und sich als Vampire dem Rausch des Blutes hingeben.
Angela war gefordert, und sie wußte es auch. Ein Nicken deutete an, daß sie alles verstanden hatte.
»Ja? Ja? Willst du es tun?« Die Königin der Nacht konnte es kaum fassen. Sie wollte auch weiterreden, aber Angela hob eine Hand. Die Geste ließ die andere verstummen.
Angela bückte sich und drehte sich gleichzeitig zur Seite. Da sie mir jetzt den Rücken zuwandte, sah ich nicht, was sie vorhatte. Die Hand mußte über die Theke geglitten sein. Jeder hörte das Klirren.
Kurz danach richtete sich die Vampir-Psychonautin wieder auf.
Alle sahen, daß sie eine spitze Scherbe in der rechten Hand hielt. Sie mußte ein Glas zertrümmert haben, und die Scherbe besaß genau die richtige Form und Länge.
Sie hielt das Dreieck zwischen zwei Fingern und dem Daumen fest, so daß die Spitze nach oben zeigte.
Mich wunderte diese Geste. So wie sie handelte kein Vampir. Der hätte sich auf sein Opfer gestürzt und die Zähne in dessen Hals geschlagen.
Aber sie war auch kein echter Vampir. Das wußte ich von Harry und Dagmar. Sie war ein Zwitter.
Sie existierte gewissermaßen zwischen zwei Welten und hob jetzt den rechten Arm an. Jeder konnte die Scherbe sehen. Sie wartete darauf, daß sie auch von allen erkannt wurde und sprach dann.
»Du wolltest Blut sehen?«
»Ja - ja…«
»Wer bist du?«
»Ich bin die Königin der Nacht. Aber ich bin noch nicht perfekt. Du sollst mich erst so machen. Ich will deinen Biß. Ich muß ihn einfach haben. Erst wenn du mein Blut getrunken hast, wird alles gut werden, darum bitte ich dich auch im Namen der anderen, die darauf so sehnsüchtig warten. Es soll die Nacht der Nächte werden, das hat man uns versprochen.«
»Du willst also Blut sehen?«
»Das will ich.«
»Das sollst du auch!« erklärte Angela und lächelte auf eine hinterlistige Art und Weise. Dieses Lächeln machte allen klar, daß nur sie genau Bescheid wußte.
In der linken Hand hielt sie nichts. Sie streifte den Arm an ihrem Körper entlang, damit sich der Pulloverärmel in die Höhe schieben konnte.
Jeder sah den blanken Arm, auch ich. Dabei ahnte ich, was sie vorhatte, aber ich griff nicht ein.
Noch war es ihr Spiel. Alle ließen sie gewähren.
Angela ließ sich Zeit. Sie brauchte die Scherbe auch nicht zu kanten, die Spitze zeigte bereits nach unten, und sie brachte sie in die Nähe des freien Arms.
Die erste Berührung.
Dann der leichte Druck, der Stich.
Und einen Moment später zog sie die Scherbe in Richtung ihres Handgelenks…
***
Plötzlich empfand ich die Stille noch intensiver. Ich hätte nicht damit gerechnet, daß sie sich noch verändern konnte. Sie war noch tiefer. Darin versteckten sich all die Spannungen und Gefühle der Zuschauer. Jeder konnte sehen, wie tief Angela in ihren Arm hineingestoßen hatte. Im Fleisch entstand ein Riß, der sich sofort mit ihrem Blut füllte. Die Rinne war nicht tief genug. So quoll das Blut an beiden Seiten daraus hervor und rann über den Arm hinweg, um sich an der Rückseite zu treffen und als dicke Blutstropfen auf die Theke zu fallen.
Jeder sah zu. Jeder hielt den Atem an. Und jeder wußte, daß Angelas Blutkult damit seinen Anfang genommen hatte.
Mich interessierten nicht die Zuschauer auf dem Friedhof. Ich wollte sehen, was die Gestalten auf der Theke taten. Ich glaubte nicht daran, daß Angela die einzige Akteurin blieb. Sie hatte mit ihrer Tat die anderen nur locken wollen. Sie wollte sie scharf machen. Jetzt floß das Blut, jetzt mußten diejenigen handeln, die schon zu den Vampiren zählten.
Die People of Sin schauten ebenfalls zu. Ich sah ihre Unruhe. Sie bewegten sich auf der Stelle, doch sie trauten sich noch nicht, Angela anzufallen.
Hackte
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