11 - Menschheitsdämmerung
bepackte Fußmarsch in nassen und verdreckten Klamotten, bis sie ein Bergdorf erreichten. Das Haus, in das sie eindrangen. Die Familie – Mann, Frau, Teenagertochter –, die sie töteten. Sie stillten Hunger und Durst, nahmen ein heißes Bad und versorgten ihre Wunden. Und sie ruhten aus.
Als sie ihren Weg im Toyota der Familie fortsetzten, hatten sie wertvolle Zeit verloren, die Pauahtun durch die Wahl der Passstraße eigentlich hatte einsparen wollen.
Glücklicherweise verlief wenigstens der Rest der Reise ohne Zwischenfälle. Nur noch zu fünft erreichten sie einen kleinen Ort, dessen Namen sich der Logenführer nicht merkte. Hier ließen sie den gestohlenen Wagen stehen und entwendeten einen anderen.
Bitol, der inzwischen den Armreif trug, meinte zwar, dann könne man genauso gut den Toyota behalten, aber Pauahtun wollte keinesfalls im Wagen einer ermordeten Familie erwischt werden.
Sie kleideten sich neu ein, auch wenn es sich entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit um Jeans und Sweatshirts handelte.
Mit einem VW-Kleinbus erreichten sie schließlich die Ortschaft Ferney-Voltaire in Frankreich, direkt an der Grenze zur Schweiz. Die Kreuzpeilung, die sie mitten in den Genfer See geführt hätte, erwies sich demnach als recht genau.
Es gab nur ein Problem: Sie standen am Beginn eines Streifens Wiese zwischen zwei Wäldern südlich des Ortes. Und hier gab es absolut nichts, das wie ihr Ziel aussah!
Vor einer Stunde waren sie aus dem Bus ausgestiegen. Seitdem schritten sie die Grasfläche immer wieder auf und ab. Jedes Mal, wenn sie einen bestimmten Punkt überschritten, löste sich der Pfeil auf dem Armreif in seine Bestandteile auf und bildete sich erst dann neu, wenn man sich umdrehte.
Die Weltuntergangsmaschine lief zwar etwas schneller, allerdings nicht annähernd so hochtourig, wie es beim Petersplatz der Fall gewesen war.
»Was sollen wir tun?«, fragte Huracan.
So schwer es dem Logenführer fiel, die eigene Schwäche einzugestehen, gab es nur eine mögliche Antwort: »Wir warten hier auf unseren Herrn.«
Ein weiterer Tag verging, bis der Mann in Weiß endlich erschien. Wenn er von der Dezimierung der Loge überrascht war, zeigte er es nicht.
»Mein Herr hat mich in Kenntnis gesetzt«, sagte er stattdessen. »Ich weiß nun, warum die Maschine plötzlich versagte: Es fand ein Ereignis von großer energetischer Bedeutsamkeit statt, das die Energielinien der Welt so verzerrt hat, dass sie sich nun an dieser Stelle treffen.«
»Aber hier ist nichts!«, sagte Bitol. Der Indio stellte sich genau auf den Punkt, den der Armreif ihm gewiesen hatte. Egal, in welche Richtung er sich wandte, der Pfeil bildete sich nicht aus.
»Senke den Arm!«, befahl der Mann in Weiß.
Bitol gehorchte. Seine Augen wurden groß, als sich die Segmente des Armreifs verschoben und der Richtungsweiser erneut sichtbar wurde.
»Das Energiezentrum liegt gut hundert Meter unter der Erde«, erklärte der Weiße.
»Und wie sollen wir hinunterkommen?«, fragte Pauahtun.
Der Mann in Weiß deutete in südliche Richtung. »Hinter diesem Wald liegt unser Ziel: der Eingang zu einer Forschungsanlage namens CERN.«
»Die werden uns aber wohl nicht so ohne Weiteres reinlassen.«
»Es gibt einen einfachen Weg, aber den müssen wir vorbereiten«, entgegnete der Weiße. »Erst einmal richten wir uns hier ein.« Er deutete über die Straße hinweg auf ein Häuschen am Stadtrand von Ferney-Voltaire. »Wer auch immer dort wohnt, wird uns bis morgen sicher gerne Quartier anbieten.«
***
»Können wir nicht mal eine Pause einlegen?«, fragte der Student, der vor ein paar Tagen noch voller Elan den Countdown heruntergezählt hatte.
Otto Bevers sah von den Anzeigen des Kontrollpults auf und blickte in ein müdes Gesicht. Unrasiert, mit tiefen Ringen unter roten Augen. »Bernd König, richtig?«
Der Student nickte. Seine drei Kommilitonen hatten gestern CERN verlassen. Ohne Genehmigung! Sie hatten Fahnenflucht begangen, wenn man es so hart ausdrücken wollte. Weder interessierten sie die fatalen Auswirkungen, die ein derartiges Verhalten für ihre weitere Laufbahn bedeutete, noch ließen sie sich von den Drohgebärden des Sicherheitsdienstes beeindrucken. Wahrscheinlich war ihnen klar, dass niemand sie mit Gewalt zurückhalten würde.
Und sie waren nicht die Einzigen gewesen, die ihre Kollegen schmählich im Stich gelassen hatten. Nicht zu fassen, aber vierunddreißig Forscher hatten sich dazu entschlossen, die »letzten Tage der Menschheit«
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