11 - Menschheitsdämmerung
bei ihrer Familie verbringen zu wollen. Und das absurderweise einen Tag nach der Verlautbarung, dass der Komet die Erde nicht treffen werde. Offenbar glaubte man der US-Regierung nicht. Die Kometenhysterie drohte außer Kontrolle zu geraten, wenn sie es nicht schon längst war.
»Mein lieber Herr König«, sagte Bevers zu dem Studenten. »Unser Team ist auf nur noch dreiundzwanzig Mann geschrumpft. Da tun sich keine allzu großen Zeitfenster auf, in denen man eine Pause einlegen könnte. Falls der Komet einschlägt, können Sie lange genug Pause machen.«
»Das ist nicht witzig«, erwiderte der junge Mann in einem Tonfall, den er dem Professor gegenüber sonst niemals angeschlagen hätte.
»Nein, natürlich nicht. Entschuldigen Sie. Außerdem bin ich geneigt, dem Kollegen Smythe zu glauben. Der Komet wird uns verschonen. Und danach wartet eine strahlende Zukunft auf Sie! Wissen Sie, was es bedeutet, der Gruppe anzugehören, die das Higgs-Boson nachweist? Nobelpreis! Eine Karriere in der Forschung, von der andere nur träumen können.«
König senkte den Blick. »Ich weiß, aber …«
»ATLAS hat uns noch immer keine Higgs verzeichnet. Aber ich spüre, dass es nicht mehr lange dauern kann. Der LHC läuft seit Tagen ununterbrochen auf Volllast. Länger am Stück als jemals zuvor!«
Er ging zu einem Kontrollpult, dem er sich sonst nie widmete. Dem, das den Energieverbrauch protokollierte. Was tat man nicht alles, wenn man mit einem Rumpfteam auskommen musste? Er wollte gerade einen Vortrag anstimmen über Arbeitsmoral und die Opfer, die die Forschung einem abverlangte, da fiel sein Blick auf eine der Anzeigen.
»Das … ist doch nicht möglich!«, entfuhr es ihm.
Bernd König hörte in diesem Augenblick auf, für ihn zu existieren. Bevers klopfte mit dem Finger auf die Anzeige, was bei den kalibrierten Digitalzählern keinerlei Sinn ergab.
Das Gerät behauptete, dass sie in den letzten Tagen kaum Energie verbraucht hatten! Und das, wo es Dr. Lescroart doch offenbar darauf angekommen war, so viel Strom wie nur möglich zu verschwenden.
Der Professor ließ den Blick über die lichter gewordenen Wissenschaftlerreihen gleiten. Er fand den Kanadier dort, wo er ihn vermutet hatte: an dem neu errichteten Kontrollpult auf der Galerie.
Bevers strich sich übers Gesicht, spürte und hörte das Schaben von Bartstoppeln, straffte seinen Körper und ging zu dem Gastwissenschaftler. Der Professor hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. »Ich will auf der Stelle wissen, was hier gespielt wird.«
»Ich verstehe nicht.«
»Sie verstehen sehr wohl! Als wir zu Neujahr auf interne Stromversorgung umgeschaltet haben, ging ich davon aus, dass Sie Modifikationen am Reaktor vorgenommen haben, die wir neben unserer eigentlichen Arbeit mittesten. Aber das kann nicht sein!«
»Nein?«
»Ich habe gerade festgestellt, dass der interne Reaktor lediglich die oberirdischen Gebäude mit Strom versorgt. Was also ist es, was Sie hier testen?«
Lescroart schien für einen Augenblick nachzudenken. Seine Mundwinkel zuckten, als könne er sich nicht entscheiden, ob er lächeln sollte. »Haben Sie eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben?«
Bevers spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. »Wofür halten Sie mich? Ich bin Wissenschaftler wie Sie! Glauben Sie, ich würde -«
»Entschuldigen Sie mich bitte.« Der Kanadier wandte sich um und ließ Bevers einfach stehen. Der Grund war ein hagerer Mann Mitte fünfzig mit sorgfältig gescheiteltem grauen Haar. Das Bemerkenswerteste an ihm war das Fehlen von Bartstoppeln und Augenringen.
Dr. Pascal Germaine, der Leiter der Anlage, hatte das Kontrollzentrum betreten.
Sofort steckten er und Lescroart die Köpfe zusammen, wie schon so oft in den letzten Tagen. Diesmal nahm das Gespräch innerhalb weniger Sekunden allerdings hitzige Züge an.
Bevers schob sich ein paar Schritte näher an die Männer heran, bis er sie verstehen konnte.
»… Verständnis für ein gewisses Sicherheitsbedürfnis«, sagte Dr. Germaine in diesem Augenblick. »Aber Ihres grenzt an Paranoia.«
»Finden Sie?« Lescroart war hörbar aufgebracht. »Sie lassen eine Filmcrew hier herein, um Himmels willen! Da legen wir unsere Versuche schon in die Winterpause, damit sie keine hohen Wellen schlagen, und dann gestatten Sie Fremden mit Kameras und -«
»Der Termin war lange festgemacht, noch bevor sich Ihre Firma mit der Bitte um einen Testlauf an uns gewandt hat. Was machen Sie sich überhaupt Sorgen um die
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