11 - Menschheitsdämmerung
nehmen Sie den ATLAS-Detektor!«, schwafelte er. »Sechshundert Millionen Kollisionen pro Sekunde auf der Suche nach dem Higgs-Boson. Da das aber nur etwa ein einziges Mal bei einer Billion Kollisionen entsteht, haben wir eine enorme Datenmenge zu bewältigen, bis …«
Voltan klinkte sich gedanklich aus. Er konnte es nicht mehr hören. Nicht, dass er etwas von dem verstand, was der Professor erklärte. Das Einzige, was er begriff, war, dass der Mensch in Regionen vordrang, die ihm nicht zustanden. Er versuchte das Geheimnis der Schöpfung zu enträtseln. Doch zu welchem Zweck? Um selbst erschaffen zu können? Um das Göttliche von seinem Thron zu stoßen?
Kein Wunder, dass eine höhere Macht die Menschheit für ihre Anmaßung strafen wollte.
Voltan musste an die Untergangsprediger denken, von denen man zuletzt so viel in den Nachrichten hörte. Reverend Pain, Hugh Miller, Bakht Nageswara und wie sie alle hießen. Ob sie auch nur den Hauch einer Ahnung besaßen, wie nahe sie der Wahrheit kamen?
»Entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche.« Der Indio zeigte auf seinen Bruder Bolontiku, der unter dem Namen Harrison Vasquez als Kameramann auftrat. »Ich glaube, von hier oben haben wir uns ein ausreichendes Bild machen können. Wir würden nun gerne den Teilchenbeschleuniger und die Kavernen sehen.«
Professor Martin sah ihn mit großen Augen an. »Ich fürchte, das ist nicht möglich. Derzeit laufen Versuche, die …«
Der Mann in Weiß flüsterte Voltan etwas zu.
»Wir haben aber eine Drehgenehmigung für die Kavernen!«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.«
Fünf Minuten und einen weiteren unauffälligen Eingriff in das Computersystem später zeigte sich Martin zwar immer noch verwundert, zweifelte es aber wenigstens nicht mehr an. Es erwies sich als unschätzbarer Vorteil, dass sich wegen der Kometenhysterie nur ein Bruchteil der sonstigen Belegschaft in CERN aufhielt, was zu einer großen Zahl herrenlos herumstehender Computer führte, derer sich der Mann in Weiß mit einem unbemerkten Griff bedienen konnte.
Der Professor sträubte sich nicht länger und geleitete sie quer über das Gelände zu einem Flachbau, in dem sich der Zugang in die Tiefe befand. Als er gerade die Tür hinter ihnen schließen wollte, hetzte ein Mann in weißem Kittel winkend über die Straße.
»Halt!«, brüllte er.
»Was will der denn?«, murmelte Martin.
»Was glauben Sie, was Sie hier tun?«, fragte der Neuankömmling schwer atmend. Schweiß perlte ihm von der hohen Stirn.
»Ich verstehe nicht, Dr. Lescroart.«
»Sie können sie nicht nach unten führen!« Mit sie meinte er natürlich das vorgebliche Filmteam, das er jedoch keines Blickes würdigte. »Dr. Germaine hat mir zugesichert, dass keine sensiblen Bereiche …«
»Das hätte er sich überlegen müssen, bevor er die Drehgenehmigung erteilt hat. Außerdem gibt es da unten nichts zu sehen, was nicht schon tausendmal im Internet …«
»Mir geht es nicht um Ihren dämlichen Beschleuniger oder die Detektoren!«, fuhr Lescroart den Professor an.
»Worum denn dann?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
Martin zuckte mit den Schultern. »Dann eben nicht. Auf jeden Fall führe ich die Herren nun hinunter.«
Lescroart strich sich mit einer fahrigen Geste durch das wallende Haar und hinterließ ein Chaos, das an ein Vogelnest erinnerte. »Gut, dann komme ich mit.«
Voltan wusste zwar nicht, worum es hier ging, aber vielleicht nahm dieser Doktor im weißen Kittel mit seiner nervösen Art einen Teil von Martins Aufmerksamkeit in Beschlag. Das konnte ihnen nur recht sein, wenn es darum ging, die Maschine an geeigneter Stelle zurückzulassen.
Er sah zu seinem Herrn, der ihm knapp zunickte. Offenbar war er der gleichen Ansicht.
»Ich habe nichts dagegen«, sagte der Indio. »Hauptsache, wir können endlich gehen.«
Sie durchquerten einen schmucklosen Vorraum und gelangten an eine mit einem elektronischen Zahlenschloss versehene Tür. Daneben stand ein unbesetzter Schreibtisch.
Professor Martin schnappte sich das Buch, das auf der Platte lag, drehte es zu sich um und trug sich und seine Begleiter ein. »Normalerweise sitzt hier ein Angestellter«, sagte er mit verkniffener Miene. »Aber er hat sich kurz vor Jahreswechsel krankgemeldet. Wer’s glaubt …«
Er tippte einen Code in das Zahlenfeld ein. Voltan unternahm nicht den Versuch, ihn sich einzuprägen. Der Mann in Weiß benötigte keine Kennwörter, um solche Türen zu öffnen.
Sie betraten einen fensterlosen
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