11 - Menschheitsdämmerung
der Mann in Weiß sagte: »Nein!«
Voltan legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter. »Komm. Wir haben Wichtigeres zu tun.«
Bis auf die Umhängetasche mit der Maschine ließen sie sämtliches Equipment bei dem wimmernden Elend zurück, in das sich Professor Martin verwandelt hatte. Sie folgten dem gekrümmten Gang noch ein gutes Stück weiter.
Das Summen wurde stetig lauter. Die Vibration versetzte Voltan in einen angenehmen Zustand der Erregung, den die unbestimmbaren Bilder, die weiterhin sein Bewusstsein fluteten, jedoch verdarben.
Als sie vor der nächsten Abzweigung standen, in der auch der Kabelstrang verschwand, der Martin so überrascht hatte, sagte Bitol mit Blick auf den Armreif: »Hier entlang.«
Nach ein paar Schritten erreichten sie eine Stahltür mit einem Zahlenfeld. Der Mann in Weiß drang mit den Fingern darin ein. Für eine Sekunde kam es Voltan so vor, als müsse sein Herr fester zudrücken, um die Materie zu durchdringen.
Funken blitzten und tänzelten am Arm des Weißen Mannes entlang. Dann schwang die Stahltür auf.
Dahinter lag ein nackter Gang mit einer weiteren Abzweigung auf der Hälfte.
»Geradeaus!«, sagte Bitol.
Sie folgten seinen Angaben und kamen zur nächsten Tür. Der Mann in Weiß streckte die Hand aus, wollte in die Schaltkonsole eindringen – und stieß auf Widerstand.
Im gleichen Augenblick erwachte ein rotes Licht an der Decke zu rotierendem Leben. Alarm!
»Der Kerl im weißen Kittel«, fluchte Huracan.
Der Mann in Weiß reagierte nicht darauf. Er war mit einem Phänomen befasst, das selbst ihm neu war. »Das darf nicht passieren!« Wieder presste er die Finger gegen die Schaltplatte, ohne in sie eindringen zu können.
»Was?«, fragte Voltan.
»Die gebündelten Kraftlinien! Sie verwandeln die Energie, aus der ich bestehe, in Materie.«
Ein lautes Klacken ertönte. Die Tür, durch die sie den Gang betreten hatten, war eingerastet. Offenbar schloss der Alarm automatisch sämtliche Schleusen, um beispielsweise die Ausbreitung von Feuer zu verhindern.
Voltan rannte zu der Ausgangstür und versuchte sie zu öffnen. Vergeblich. Sie war wieder verriegelt. Die Abzweigung des Ganges endete nach wenigen Metern ebenfalls vor einer Tür.
Er hetzte zu seinem Herrn zurück und baute sich vor ihm auf. Vorsichtig streckte er die Hand nach ihm aus. Und stieß auf Widerstand.
Ein sonderbares Gefühl. Keinesfalls wie der Stoff des Anzugs, den der Mann in Weiß trug. Eher wie kalte, harte Knetmasse.
»Wie sollen wir jetzt wieder hier rauskommen?«, fragte Huracan.
Der Mann in Weiß musterte ihn. Dann nahm er Voltan die Umhängetasche von der Schulter und öffnete sie. Ein gleißendes Licht flutete hervor.
»Gar nicht«, antwortete er schließlich. »Die Maschine ist am Ziel angelangt. Entkommen war nie eine Option.«
Voltan schüttelte den Kopf. »Bald wird die Polizei eintreffen und uns abführen. Was, wenn sie die Kugel mitnehmen?«
»Wenn es lange genug dauert, dass sie ausreichend Energie in sich aufnehmen kann, wird sie nichts mehr aufhalten können.«
***
Splitter des Untergangs
Schlagzeile vom 5.1.2012 auf www.swissinfo.ch: »Nebelchaos bei Genf«
In den Vormittagsstunden kam es in Genf und Umgebung zu einem überraschenden Wetterereignis: Innerhalb weniger Minuten zog in einem Umkreis von über zwanzig Kilometern dichter Nebel auf. Zahlreiche Autounfälle auf der A1 in Richtung Lausanne waren die Folge. Etwa zum gleichen Zeitpunkt kam es bei dem Kometen »Christopher-Floyd« zu einer neuerlichen Kursänderung, was den Weltuntergangstheorien neue Nahrung liefert. Gerüchte, wonach der Nebel die unmittelbare Auswirkung eines gescheiterten Experiments im nahe gelegenen Forschungszentrum CERN sei, wurden bislang nicht bestätigt.
***
»Wie war deine Nacht?«, fragte Maria Luisa.
Tom rieb sich mit dem Zeigefinger über die Zähne und schmatzte. »Unbehaglich.« Was etwa so viel Wahrheit enthielt, als sage man, der Erde stünden interessante Wochen bevor.
Noch am Abend vorher hatte Tom der Spanierin angeboten, sie solle ins Hotelzimmer zurückkehren. »Dort hast du es gemütlicher.« Tatsächlich wollte er sie nicht um sich haben, wenn er doch wusste, dass sich ihre Wege nach der Observierung trennen würden.
Aber sie ließ sich nicht darauf ein. »Und wer überwacht die Monitore, während du schläfst? Nein, ich bleibe hier und wir wechseln uns ab.«
Im Hinterkopf hoffte Tom, dass ihr Grund hierzubleiben genauso vorgeschoben war wie seiner, sie
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