1107 - Die Mutation
Für mich war wichtiger, zu erfahren, wie der Mann umgekommen war.
»Wer hat das getan? Die Fledermäuse?«
»Kann sein…«
Ich schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ihr Bruder hat ihn mitgebracht. Er hat ihn aus dem Wagen geladen. Sie wissen, was das bedeutet.«
»Sie werden es mir sagen.«
»Ich habe Blut auf der Ladefläche entdeckt und gehe davon aus, daß der Tote schon so ausgesehen haben muß, als man ihn auslud.«
»Das kann sein.«
Ich stellte eine Frage, von der ich nicht überzeugt war. »Dann wäre Ihr Bruder mit zahlreichen Fledermäusen durch die Nacht gefahren - oder?«
»Nein.«
»Das dachte ich mir.«
»Und wie denken Sie weiter, Sinclair?«
»Es bleibt nur Ihr Bruder!«
Sie warf den Kopf zurück und lachte gegen die Decke. »Sehr gut, Bulle, sehr gut. Aber nicht richtig. Sie schießen immer haarscharf daneben, aber das macht nichts. Sie werden uns nicht aufhalten können. Wir haben lange gebraucht, um so zu werden, und es wird keine Feinde geben, die unserem Geheimnis nahekommen.«
»Wo sind die Tiere?«
»Weg!«
»In der Anlage?«
»Ja, sie fliegen in der Nacht. Sie brauchen Blut und geben sich nicht mehr mit dem von Rindern zufrieden wie in ihrer angestammten Heimat Südamerika. Sie sind jetzt hier, und sie haben das Blut der Menschen lieben gelernt.«
»Sagen Sie mir, wo Ihr Bruder steckt?«
»Bitte, Sinclair, bitte. Sie glauben doch nicht, daß ich es Ihnen freiwillig…«
Etwas störte uns beide. Es war ein langgezogener Stöhnlaut, der unter dem zweiten langen Beet hervorgedrungen war. So stöhnte nur ein Mensch, und ich wußte plötzlich, wo sich die zweite Person befand, die Cusack mitgenommen hatte.
Daß sich der Mann gemeldet hatte, gefiel Jana nicht. Sie wollte hinlaufen, aber ich zog meine Waffe und ließ sie in die Mündung blicken. »Nein, Sie tun nichts.«
Jana blieb stehen. Der Spott in ihren Augen war nicht verschwunden. Sie schüttelte leicht den Kopf.
»Glauben Sie etwa, mich damit einschüchtern zu können?«
»Ich würde auch schießen!«
»Das kann ich mir vorstellen. Aber bitte. Es wird alles so laufen, wie es das Schicksal vorgeschrieben hat.«
Mit dieser Philosophie konnte ich nicht viel anfangen. Ich war etwas zurückgegangen, um einen besseren Blickwinkel zu bekommen, da ich beide im Auge behalten wollte.
Es war ja schon ein Vorteil, daß der zweite Mann gestöhnt hatte. So wußte ich, daß er lebte. Nur ging es ihm schlecht. Er hatte große Mühe, sich unter dem Tisch hervor zu bewegen. Er kroch auf dem Bauch, lag aber auch leicht auf der rechten Seite, und ich sah, daß er ebenfalls im Gesicht gezeichnet war.
Nur durch eine Wunde. Keine Bißstellen. Seine Wunde befand sich über dem linken Auge. Dort war die Braue geplatzt, und Blut war herausgesickert. Es war an seinem Auge entlanggelaufen und teilweise schon eingetrocknet.
Der Mann trug dunkle Kleidung. Er konnte noch keine 30 sein. Sein Gesicht verzerrte sich bei jeder Bewegung, und er würde aus eigener Kraft kaum aufstehen können.
Als er weit genug unter dem langen Beet hervorgekrochen war, hob er den Kopf an. Er sah Jana Cusack, und er sah mich. Mit beiden Personen konnte er nichts anfangen. Wir waren einfach Fremde für ihn. Als er atmete, hörte es sich wie ein Zischen an.
»Holen Sie einen Stuhl für ihn!«
»Warum?«
»Machen Sie schon!« sagte ich hart.
»Er ist schon so gut wie tot. Wie Sie auch, Sinclair. Daran kommen Sie nicht vorbei.«
»Das lassen Sie mal meine Sorge sein.«
»Gut, wenn Sie wollen.« Der Stuhl aus grün gestrichenem Metall stand neben der Bank. Er hätte mit seiner abgerundeten Kante auch in ein Bistro gepaßt, und Jana lächelte in sich hinein, als sie den Stuhl neben dem Verletzten abstellte.
Das Lächeln gefiel mir nicht. Es wirkte zu siegessicher, als wäre Jana froh darüber, daß alles genau so lief, wie sie es sich vorgestellt hatte.
»Zufrieden, Sinclair?«
»Nein.«
»Was denn noch?«
»Helfen Sie ihm hoch!«
Sie blickte auf meine Waffe, hob die Schultern, bückte sich und faßte den Verletzten unter. Sie ging sogar sehr sanft mit ihm um. Der Mann stöhnte wieder und hing wie eine Puppe in ihren Armen.
Von ihm kam kaum eine Unterstützung. Als er saß, sackte nur sein Kopf nach vorn, nicht aber der Körper.
Sie trat zurück und verschränkte wieder die Arme vor ihrer Brust. Gelassen beobachtete sie uns, wie jemand, dem alle Zeit der Welt zur Verfügung steht.
»Können Sie sprechen und sich auch erinnern?« fragte ich den
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