1108 - Leichengasse 13
Rauch einer Zigarette.
Die Verbindung zu dem rauchenden Mann mit den hochgekämmten Haaren war hergestellt, denn ein anderer hatte hier nicht geraucht. Ich wollte schon vom Stuhl aufstehen, als ich die Schritte eines Menschen nicht weit von mir entfernt hörte. Jemand hatte das Haus betreten. Er ging nicht auf die Treppe zu, sondern bog kurz davor ab, um die Wohnung hier zu betreten.
Über dem alten Herd gab es noch eine Lampe. Die schaltete ich rasch ein. Die Küche war jetzt hell, und in diese Helligkeit hinein trat der Besucher.
Es war tatsächlich der Mann mit den hochgekämmten Haaren!
***
Er traute sich noch nicht, einen Schritt über die Schwelle zu gehen, sondern blieb erst stehen. Er saugte an der Zigarette, stäubte die Asche dann zu Boden und bewegte seinen Kopf, um die gesamte Küche überblicken zu können.
Ich ließ ihn in Ruhe und sprach ihn auch nicht an. Er übersah mich. Und er sah aus wie schon bei unserer ersten Begegnung. Noch immer trug er das dunkle Hemd mit den aufgedruckten Zeichen an der linken Seite. Sie flossen von der Schulter herab bis zu seinem Gürtel. Die Beine wurden von einer dieser modernen Cargo-Hosen verdeckt. Bei ihnen waren an den Außenseiten der Hosenbeine Taschen aufgenäht. Der Mann war von dem Ghoul geholt worden. Das hatte ich mit meinen eigenen Augen gesehen, aber er hatte sich nicht verändert wie meine beiden Kollegen. Nicht einmal sein Haar war durcheinander.
Was wollte er von mir?
Noch hatte er nichts gesagt und so getan, als wäre ich nicht vorhanden. Noch einmal zog er an seiner Zigarette, klemmte die Kippe dann zwischen Daumen und Zeigefinger fest, bevor er sie zu Boden warf und mit der Hacke austrat.
Wir schauten uns an, musterten uns, schätzten uns ab. Der Mann hatte ein normales Durchschnittsgesicht. Vielleicht waren seine Augenbrauen ein wenig kräftiger als bei den meisten Menschen.
Aber sein Gesicht zeigte mir auch einen schon leicht traurigen Ausdruck. Zwischen Nase und Mund hatten sich die Falten tief eingegraben, und das Haar besaß einen rötlichbraunen Schimmer.
Ich unterbrach das lastende Schweigen und stellte ihm eine leise Frage. »Wer sind Sie, Mister?«
Der Mann machte den Eindruck, als hätte er mich jetzt erst entdeckt. Er schaute hoch und runzelte die Stirn. »Ich heiße Chris Iron.«
»Gut. Mein Name ist John Sinclair.«
»Nie gehört.«
»Das macht nichts, aber sie werden mir trotzdem dabei helfen können, das Rätsel dieser Gasse zu lösen.«
»Sind Sie auch ein Sucher?«
Ich lächelte knapp. »Sucht nicht jeder Mensch irgendwie?«
»Ja, das stimmt«, gab er zu. »Jeder Mensch ist irgendwo auf der Suche. Da möchte ich nicht widersprechen. Doch nicht alle finden, was sie gesucht haben.«
»Wie sieht es denn bei Ihnen aus?«
Iron zuckte mit den Schultern. »Ich suche noch immer.«
»Wonach?«
»Nach der Lösung.«
Das Gespräch gefiel mir nicht. Es brachte nichts, und ich wurde jetzt konkret. »Hören Sie, Mr. Iron, ich wundere mich darüber, daß Sie noch leben. Wir beide haben uns schon einmal gesehen. Allerdings draußen auf der Gasse und unter anderen Umständen. Erinnern Sie sich?«
»Das kann sein«, erwiderte er ausweichend.
»Ich sah Sie, und Sie gingen weg. Sie sind einfach verschwunden, aber nicht freiwillig, denn etwas kam aus dem Boden hervor, das Sie verschlungen hat. Es war ein Schatten, der Sie holte. Sie kamen nicht gegen ihn an, obwohl sie sich wehrten. Aber es war kein Schatten, wie ich dachte, sondern das Ungeheuerliche, das hier in der Tiefe lebt. Es fällt mir dabei leicht, von einem Monster zu sprechen, und wahrscheinlich habe ich damit recht - oder?«
Er gab mir keine Antwort. Mit schleppenden Schritten ging er auf den zweiten Küchenstuhl zu und ließ sich darauf nieder. Die Arme verschränkte er vor der Brust. Dann schaute er sich um und nickte wie bestätigend.
»Was meinen Sie damit?« fragte ich.
»Sie ist nicht mehr da.«
»Wenn Sie Fay damit meinen, stimmt es.«
»Leider.«
»Wissen Sie mehr?«
Chris Iron zuckte die Achseln. »Was soll ich schon wissen? Ich weiß viel zuwenig.«
»Auch, was diese Gasse hier angeht?«
Seine Lippen verzogen sich. »Ihr Menschen seid seltsam«, murmelte er. »Ihr wollt immer alles wissen, aber später, wenn ihr es erfahren habt, dann wollt ihr es nicht akzeptieren, weil es einfach nicht in euer Weltbild hineinpaßt. Ist dem nicht so?«
»Da mögen Sie recht haben. Können Sie sich vorstellen, daß es auch Ausnahmen gibt?«
Ich hatte mich auch
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