1111 - Der Maskenmann
in der unteren Gesichtshälfte zogen sich in die Breite. Es konnte der Beweis für ein Lächeln sein, nur eben im übertragenen Sinne.
Dann war er bei ihr.
Melody schloß die Augen. Kurz zuvor hatte sie noch das Anheben seiner Arme gesehen, und dann spürte die, wie er sie nicht nur einfach berührte, sondern umarmte, wie jemand, der seine Geliebte an sich drückt.
Sie bewegte sich nicht. Melody stand stocksteif auf dem Fleck. Sie wollte auch die Augen nicht öffnen. Lieber in dieser dunklen Welt warten und irgendwie auch hoffen.
Es passierte etwas. Es mußte einfach etwas passieren, aber in den folgenden Sekunden spürte sie nur die Kälte, die der andere Körper ausstrahlte.
Es war nicht die Kälte des Wassers, auch nicht die von Eis. Es war eine Kälte, wie Melody sie noch nie in ihrem Leben empfunden hatte. So anders, so trocken. Ihr fiel ein, daß man auch bei der Beschreibung des Todes von einer Kälte sprach.
Das war hier geschehen.
Der Tod hielt sie umarmt. Einer, der nicht mehr lebte und trotzdem vorhanden war.
Sie hatte sich schon beim ersten Kontakt versteift, und das blieb auch weiterhin so. Melody spürte, wie er sich bewegte und sich sein Kopf auch an ihr entlangbewegte. Er streifte ihre linke Seite, und sie wußte, daß sein ungewöhnlicher Mund sich in der Höhe ihres Ohrs befand. Der eisige Hauch glitt darüber hinweg, und sie hörte plötzlich die geflüsterten Worte.
»Wir werden zusammenbleiben, Melody. Für immer und ewig. Ich habe dir einmal meine Liebe gestanden, und ich habe es nicht vergessen. Ich bleibe weiterhin in deiner Nähe. Ich bin nicht tot, ich bin nur anders. Ich habe das Schattenreich gesehen, und ich bin zu einem Schattenmann geworden…«
Melody Scott hatte jedes Wort überdeutlich gehört, als hätte sich ihr Gehör bewußt auf diese Worte eingestellt, um nur keines zu verpassen. Sie erlebte einen inneren Aufruhr. Sie wollte auch etwas sagen, doch es fiel ihr schwer, die passenden Worte zu finden. Es war sogar unmöglich, etwas zu sagen.
Randall hielt sie noch immer fest. »Denk an mich. Denk nur an meine Worte. Wir bleiben zusammen. Nur anders, als du es dir vorgestellt hast, meine Liebe.«
Mehr sagte er nicht. Melody spürte den Druck seiner Hände und wurde nach hinten geschoben. Sie hatte die Augen die ganze Zeit über geschlossen gehalten. Jetzt öffnete sie sie wieder, aber der andere war bereits verschwunden. Sie hatte einfach zu lange gewartet. Nur das leichte Wippen der Zweige vor ihr erinnerte sie daran, daß sie diesen ungewöhnlichen und unglaublichen Besuch erhalten hatte.
Begreifen konnte Melody es nicht. Sie stand einfach nur da und starrte ins Leere. Ihr war, als hätte sie den berühmten Schlag in den Magen bekommen. Im Kopf drehte sich alles, und auch die Umgebung geriet in Wallungen. Die Knie waren ihr weich geworden. Daß sie sich trotzdem auf den Beinen hielt, kam ihr schon wie ein kleines Wunder vor.
Die Stelle, an der er gestanden hatte, war leer und finster. Es gab keinen Jerry Randall mehr. Er war tot, und er lebte trotzdem, was ihr nicht in den Kopf wollte. Diese Gestalt hatte alle Regeln gebrochen. Ein Toter kommt nicht zurück.
Bisher hatte Melody das gedacht, aber die Wirklichkeit hatte sie Lügen gestraft. Wie betäubt durchquerte sie den Garten und kam erst zu sich, als sie in ihrem Zimmer stand und durch das offene Fenster nach draußen schaute.
Sie sah die gleiche Umgebung. Da hatte sich nichts verändert. Trotzdem kam ihr alles anders vor.
Die normale Welt hatte einen Riß bekommen. Nichts war mehr so wie es sein sollte. Aus ihrem Mund drang ein leises Stöhnen. Melody wußte, daß sie sich der neuen Wirklichkeit stellen mußte.
Sie war brutal wie selten etwas.
Er würde bei ihr bleiben. In ihrer Nähe. Er würde sie unter Kontrolle halten und beschützen oder so ähnlich. Er wollte sie nicht freigeben. Er hatte ihr die Liebe gestanden, aber er war zu einem Schattenmann geworden.
Oder war der Begriff Gespenst aus dem Jenseits besser?
Das konnte alles sein, mußte aber nicht. Jedenfalls war es für sie nicht zu begreifen. Melody fühlte sich leer und wie ausgetrocknet. Sie brauchte etwas zu trinken. Deshalb verließ sie das Zimmer und betrat die Küche. Im Kühlschrank fand sie kalten Orangensaft. Sie bewegte sich wie ein roboterhaftes Wesen, das ferngelenkt wurde. Nichts tat sie bewußt. Alles wirkte wie einstudiert.
Die Flasche mit dem Saft war schnell beschlagen und wäre ihr beinahe aus der Hand gerutscht, als sie die
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