1116 - Der Hexenkelch
die von einem dunklen, fettigen Rauch umweht wurden. Der Gestank trieb gegen unsere Nasen. Ein Ziel hatte die Hexe damit erreicht. Der schnelle Rückweg war uns versperrt worden.
»Sie greift an«, sagte Suko. »Sie nutzt all ihre Chancen. Sie ist da und trotzdem nicht zu fassen.«
Sein Grinsen fiel scharf aus. »Wir sollten uns auf was gefaßt machen, John.«
Alan Friedman wischte über seine Augen. Er hatte an der Maschine gehangen. Jetzt war sie nur ein verkohlter Trümmerhaufen, über den noch Restflammen leckten.
»Kommen Sie«, sagte ich.
»Ha - wohin denn?«
»Zu Ihrer Maschine.«
Ich hatte kaum ausgesprochen, als sich die Hexe wieder zeigte.
Ja, sie war noch da, und sie kostete ihren Triumph weidlich aus. Etwa in Höhe des Cockpits zeigte sie sich wieder, und sie streckte ihren Körper dabei in die Höhe. Auf uns wirkte sie wie eine Gasflamme, so durchsichtig war sie geworden. Sie drehte sich hoch, als wollte sie ihre gestreckten Hände in den blauen Himmel drücken, um sie dort zu versenken.
Und wieder hörten wir ihr Lachen.
Es war so grell, so anders als das eines Menschen. Ein nahezu brutales und bösartiges Gelächter.
Dann verschwand sie.
Auch das Lachen hörte auf…
***
Wir hatten unseren Platz auf dem Friedhof verlassen und waren dorthin gegangen, wo die Reste des Flugzeugs lagen. Angeschwärzt, stinkend, noch von kleinen Flammenzungen umspielt.
Die Insel war nicht groß, und so konnte sich der Brandgestank über das gesamte Eiland verteilen.
Nahe der Maschine hielt er sich noch besonders stark. Wir hatten uns so gedreht, daß er uns nicht mehr erwischte.
Ich wollte unseren Begleiter trösten, aber Alan schüttelte nur immer wieder den Kopf. Er konnte nicht verstehen, daß man ihm die Maschine genommen hatte, die er so liebte. Er fluchte, er jammerte, und er stand da mit seinen ausgebreiteten Armen wie jemand, der einen Götzen anbeten wollte.
Am Wrack waren wir die ersten gewesen, was sich nun änderte. Wir hörten hinter uns Stimmen und auch Schritte. Natürlich hatte jeder auf der Insel die Zerstörung des Flugzeugs mitbekommen. Zwar nicht so direkt wie wir, aber man wußte Bescheid, und jetzt näherten sich wieder die Frauen, Männer und Kinder. Sie wirkten abermals wie eine verschworene Gemeinschaft, die sich gegen alles Fremde verbündet hatte. Sie hatten es gelernt, mit der Hexe zu leben, sie hatten sich sogar mit ihr arrangiert. Jetzt waren drei Fremde erschienen, die den Kreislauf durchbrachen und noch mehr Gewalt und Unruhe mitbrachten. So jedenfalls würden sie es sehen.
»Das gefällt mir nicht!« sagte Suko leise.
»Stimmt.«
»Schau dir die Gesichter an, John.«
»Und?«
»Sie sind kalt, sie sind abweisend. Das sind die Menschen nicht mehr selbst. Etwas muß mit ihnen passiert sein, da bin ich mir sicher. Die kommen mir vor, als hätte man sie beeinflußt. Ich weiß nicht, wie du darüber denkst, aber Freunde werden die Leute und wir bestimmt nicht mehr werden.«
Ich gab keine Antwort und beobachtete nur. Hin und wieder trieben noch Rußflocken durch die Luft und auch über die Köpfe der Inselbewohner hinweg. Da lief eine Gruppe von Menschen unter schwarzen Schneeflocken her, und irgendwie paßte das alles ins Bild.
Auch Alan Friedman hatte die Veränderungen bemerkt. Er schaute nicht mehr auf sein verbranntes Flugzeug, sondern war zu uns getreten. Ob seine Stimme vor Angst oder Wut zitterte, fanden wir nicht heraus, als er uns ansprach. »Verdammt, die wollen was von uns. Die sehen gefährlich aus. Gefährlicher als vorhin.«
Ich gab ihm recht.
»Was können die vorhaben?«
»Keine Ahnung«, murmelte ich. »Aber die Hexe scheint auch bei ihnen ihre Fühler ausgestreckt zu haben. Es kann sein, daß die Menschen hier direkt unter ihrem Bann stehen.«
»Wie Lyncher!« flüsterte er heiser. »Verdammt, sie kommen mir vor wie Lyncher. Es fehlt nicht mehr viel, dann packen sie uns und hängen uns auf dem Friedhof auf.«
»Da reden wir auch noch ein Wort mit«, sagte Suko.
»Verdammt, was sollen wir den tun? Schießen…«
Er bekam keine Antwort. Die Bewohner waren stehengeblieben. Unter ihnen sah ich auch Josuah Black. Er hatte sich sogar nach vorn geschoben. Als er merkte, daß ich seinen Blick suchte, drehte er den Kopf zur Seite.
»Es scheint mir so zu sein, daß sie gekommen sind, um uns etwas zu sagen.« Suko lächelte knapp.
»Ich bin gespannt, was es ist.«
»Sie werden darauf drängen, daß wir verschwinden.«
»Glaube ich nicht. Wenn, dann
Weitere Kostenlose Bücher