112 - Der tägliche Wahnsinn
fast entsetzt. «Ich sagte doch, ich benötige eine Katheteruntersuchung, und zwar im Herzlabor vom Marien-Krankenhaus. Danach wird es mir wieder bessergehen.»
Der Notfallarzt wollte davon erst einmal nichts wissen und ordnete ein EKG an. Nur äußerst widerwillig ließ sich der siebzigjährige Mann die Elektroden ankleben, und mehr abfällig als interessiert verfolgte er die Untersuchungen des Mediziners. Der schaute sich gründlich das EKG -Bild an, nachdem wir es ausgedruckt hatten, und befand: «Das Herz sieht in Ordnung aus. Ich sehe keinen Grund, Sie in das viel weiter entfernte Haus mit dem Katheterlabor zu bringen. Eine solche Untersuchung wäre bei Ihnen unnötig.»
Aber der Patient ließ sich nicht in seiner Meinung beirren, meinte, er wolle partout in das Marien-Krankenhaus gebracht werden, auch wenn es weit weg läge. Dort könnte man jene Herzkatheteruntersuchung durchführen. Er gab an, schon einmal eine solche Behandlung erhalten zu haben, und sie habe ihm sehr gut geholfen, da bestehe er darauf. Dass eine Untersuchung noch längst keine medizinische Therapie darstellt und daher bei Schmerzen nicht helfen kann, hielt er für unqualifiziertes Gewäsch.
Der Notarzt war allerdings anderer Ansicht: «Das EKG -Bild ergibt keinen Grund, dass Sie eine Katheteruntersuchung benötigen. Die Beschwerden scheinen eher vom Magen herzurühren. Das nächstgelegene Haus mit internistischer Station ist in Ihrem Fall völlig ausreichend.»
Der Mann ließ sich nicht beeindrucken. «Ich muss eine solche Untersuchung bekommen», wetterte er energisch. «Mein Hausarzt hat das übrigens auch vorgeschlagen. Die Einweisung liegt dort drüben auf der Kommode!» Auf der befand sich tatsächlich eine Einweisung, allerdings vom letzten Monat.
Das Gespräch zwischen Notarzt und Patient ging noch eine Weile in dieser Weise weiter: Der ältere Mann wollte einen Herzspezialisten sehen, der Arzt hielt das nächstliegende Krankenhaus für ausreichend. Die Diskussion wurde immer hitziger, wobei die Erörterungen des Akademikers über den therapeutischen Sinn einer Katheteruntersuchung teilweise nicht gerade sehr einfühlsam und daher streckenweise eher kontraproduktiv für den Blutdruck des Patienten waren. Dann setzte der Arzt seinem Gegenüber die Pistole auf die Brust: «Wir fahren jetzt in das Krankenhaus hier im Stadtteil oder Sie bleiben zu Hause.»
Manfred und mir fiel fast die Kinnlade herunter. Das war Erpressung. Harter Tobak! Der Arzt wusste genauso gut wie wir, dass wir einen Patienten mit Beschwerden, die bislang keineswegs ausreichend abgeklärt waren, nicht ruhigen Gewissens einfach in seiner Wohnung lassen konnten. Aber der störrische Herr hatte keine Ahnung, was das betraf. Statt womöglich gar keine Behandlung zu bekommen, willigte er ein, sich mit der nahen Klinik zufriedenzugeben. So konnten wir ihn endlich einer sinnvollen Therapie gegen seine Beschwerden zuführen. Manfred und ich hofften nur, dass der Notfallarzt recht mit seiner Diagnose hatte.
Nachdem wir zurück auf der Wache waren, lösten uns die Kollegen der nächsten Schicht ab. Als sie das Wachbuch überflogen, bemerkten sie voller Neid: «Was? Nur vier Einsätze? – Na, so eine laue Schicht wollen wir auch mal haben.»
«Moment mal», blaffte ich genervt. «Habt ihr gesehen, zu welchen Uhrzeiten diese Einsätze waren? Wenn ja, dann könnt ihr uns immer noch beneiden.»
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Kapitel 5 Entenjagd – die Natur funktioniert auch ohne uns
Enten sind ja klasse Schwimmer und können recht passabel fliegen. Trotzdem sind sie ziemlich beschränkt, wie ich finde. Sie brüten ihre Eier überall dort aus, wo sie in der Nähe ihres Heimatgewässers etwas Annehmbares finden: auf Balkonen, in Hecken oder was sich sonst so anbietet. Aber wenn der Nachwuchs schließlich da ist, stellen sie mit Erschrecken fest, dass die Blagen partout nicht fliegen können. Wie sollen die Kleinen bloß über die Straßen und Wege zum Wasser gelangen? Das geht dann leider nur zu Fuß. Und diese Erkenntnis ereilt die Mütter jedes Jahr aufs Neue. Nie lernen sie aus den Fehlern der vergangenen Brutaufzucht. Die Folge: Jeden Sommer watscheln sie in Großstädten mit den aufgeregten braun gescheckten Tennisbällen in Richtung Tümpel.
Und in diesem Augenblick kommen die Menschen ins Spiel: Die sind nämlich auch in einer gewissen Weise beschränkt. Einige zumindest. Denn anstatt sich darüber zu freuen, dass Mutter Ente ein Gelege erfolgreich ausgebrütet hat,
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