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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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Lottozahlen. Nur ohne Nummern auf den aus den Löchern herauspurzelnden Bällen. Und anstatt dass sich die Mutter wie von uns geplant zu den Kleinen aufmachte, flitzten die piepsenden Knäuel quer über die Wiese zu ihrer Erziehungsperson, um gleich darauf im nächsten Gebüsch zu verschwinden. Laut protestierend.
    Reset. Wir mussten von vorne anfangen.
    Genauestens erkundeten wir das Gestrüpp, um herauszufinden, ob man es vielleicht umzingeln könnte. Aus dem Buschwerk heraus konnte die Entenmutter schlecht abheben. Kevin packte augenblicklich das Jagdfieber. «Ich versuche, mich hier durchzuschlagen», sagte er voller Eifer, «und dann treibe ich die Viecher wieder zur Rasenfläche raus. Ingo, halte den Kescher bereit.» Aber bevor er einen passenden Zugang ins öffentliche Grün ausgespäht hatte, lief die schnatternde Federviehmutter samt Reproduktionsergebnis quer durch das Gehölz und einen dahinter befindlichen maroden Zaun in eine friedliche Wohnstraße. Laut Auskunft einiger wachsamer Anwohner lag an deren Ende das vermutliche Ziel der Bagage: zwei kleine Teiche. Gerade noch mal gutgegangen. Die Entenfamilie war also auf dem rechten Weg, und die Passanten auf der Hauptstraße hatten sie nicht mehr im Gesichtsfeld. Der Rest der Reise konnte ohne Störungen vonstattengehen. Und diese hätte wohl auch insgesamt geklappt, hätten wir nicht «gestört»
.
    «Gott sei Dank», meinte der Wachführer. «Ich hatte schon befürchtet, wir müssten die Kleinen als Waisen ins Tierheim bringen. So als Reptilienfutter.»
    An dieser Stelle möchte ich mich noch kurz über «Wildtiere in der Stadt» auslassen. Viele Einsätze, bei denen wir uns um sie kümmern sollen, sind völlig unnötig. Die Entenmutter weiß, wo sich der von ihr anvisierte Teich befindet. Hat sie die Möglichkeit, die Straßen zu überqueren, die auf ihrer Strecke liegen, erreicht sie das Ziel selbständig und ohne Navigationsgerät. Man muss sie nur lassen. Die Familie wird auch nicht verhungern, selbst wenn sie für die Entfernung ein paar Stunden braucht.
    Verliert die Entenmutter jedoch beim Fangversuch die Nerven und lässt ihren Nachwuchs im Stich, haben die Küken trotz menschlichen Beistands geringe Überlebenschancen. Ein Mitarbeiter eines Tierheims erzählte mir einmal im Vertrauen, dass Küken, ganz gleich, ob sie von Passanten oder von uns gebracht werden, nicht selten aufgrund der schlechten Überlebensprognose an andere Tiere verfüttert werden. Die Befürchtungen meines Chefs waren nicht unbegründet gewesen.
    Auch die Katze im Baum – oder die noch viel berühmtere auf dem Dach – ist eher genervt, wenn wir auftauchen: Oft genug war die Samtpfote schneller vom Baum wieder herunter- als der «Retter» nach oben geklettert. Und eine Katze, die aus einem Dachfenster abgehauen ist, kann, wenn es auf dem First nach ein paar Stunden langweilig geworden ist, durch dieses auch ihren Rückweg antreten. Ich schätze, dass höchstens eine von zwanzig Katzen, zu denen wir gerufen werden, wirklich Hilfe benötigt.
    In der Nähe unserer Feuerwache gibt es einen Teich, auf dem einst ein Schwan lebte, der an einem seiner Flügel eine große Schwungfeder geknickt abstehen hatte. Man hätte ein eigenes Wachbuch über ihn führen können. Ständig riefen Passanten an, die den an sich sonst unauffällig schwimmenden oder watschelnden weiß Gefiederten als «schwer verletztes Tier» meldeten. Kann man nicht erst ein wenig beobachten, bevor Alarm geschlagen wird? Zum Glück war der kosmetische Fehler nach der nächsten Mauser behoben.
    In einem anderen Fall gelang es einem Autofahrer, eine auf einer Verkehrsinsel Siesta haltende Ente zu überraschen und festzuhalten. Hätte er sie wieder losgelassen, wäre sie sofort geflohen. Das tat der Mann aber nicht. Eisern umklammerte er das Tier und wählte die Nummer der Feuerwehr auf seinem Handy. Nachdem wir in Erscheinung traten, transportierten wir den Erpel an ein Gewässer und ließen ihn nach einer kurzen Untersuchung frei, da wir keine Verletzungen feststellen konnten. Ein vollkommen überflüssiges Manöver.
    Ein anderes Mal rief uns ein Gastwirt, weil sich im Windfang seines Lokals ein Igel befand. Der Kneipier beobachtete ihn, und der stachelige Säuger wiederum wartete zusammengerollt darauf, dass der Wirt sich endlich trollte. So belauerten sich beide eine Weile, bis der Mann keinen Ausweg wusste und die Feuerwehr anforderte. Der Schankwirt wurde jedoch laut, als er bemerkte, dass wir den Igel zwar

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