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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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angefressen. «Wir müssen Ihren Mann nach seinem Krankheitsbild in eine geeignete Klinik bringen», sagte ich. «Nicht nach irgendwelchen ‹guten Erfahrungen› mit den Schwestern oder dem Essen. Wir werden ihn ja auch nicht in eine Gynäkologie bringen, nur weil Sie vielleicht während Ihrer Schwangerschaft dort hervorragend behandelt wurden. Und die Akten und Bilder von der CD haben die Ärzte im St. Ansgar-Krankenhaus bestimmt nicht vernichtet. Die kann die Klinik dem hiesigen Krankenhaus bei Bedarf auch kurzfristig über den Computer zuschicken.»
    Langsam wurde Frau Deckstein ruhiger, da auch ihr zwischen ihren «Der Doktor hat aber gesagt …»-Tiraden aufgefallen war, dass es ihrem Mann besser ging. Er hatte nämlich wieder genug Zucker im Blut und erholte sich dadurch zusehends.
    «Wir werden Ihren Mann ins nächstgelegene Krankenhaus bringen», beendete die Ärztin alle Debatten. «Dort werden seine Medikamente neu eingestellt, und dann ist alles wieder gut. Da ist er bestens aufgehoben,»
    Die Ehefrau schaute noch etwas skeptisch auf ihren Mann, der sich aber schon wieder orientieren konnte. Plötzlich hatte sie eine grandiose Idee: «Welches Krankenhaus meinen Sie denn? Das hier im Stadtteil, auf dem Berg? Das ist nicht so weit, da kann ich ihn gut besuchen. Wie soll ich auch bis zum St. Ansgar kommen, das ist ja am anderen Ende der Stadt …»
    So wurden wir uns doch noch einig: Heinz ging es mittlerweile so prächtig, dass er selbst zum Pflasterlaster gehen konnte, seine Frau trug stolz die CD mit den Bildern der Herz- OP hinterher. Die würde man zwar im Krankenhaus nicht brauchen, aber wir wollten nicht weiter unnötig mit ihr diskutieren. Nehmen Sie mal einem Kind den Schnuller weg. Das Geplärr wird Sie davon überzeugen, dass das kein kluger Einfall war.
    Endlich konnten wir ins passende Krankenhaus fahren.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 11 Florian Silbereisen in der Tiefgarage
    An einem späten Nachmittag schrubbten Manfred, Steffen und ich die Fahrzeughalle. Einmal in der Woche wird der Boden ausgiebig und liebevoll mit den Bürsten massiert. Manfred war wieder derjenige, der beim Kommando «Hallendienst!» unseres Anstaltsleiters am schnellsten den Wasserschlauch besetzte. Steffen und ich hatten das Nachsehen: Wer über den Schlauch herrschen darf, braucht nämlich nicht mit dem Schrubber in der Hand zu schwitzen.
    «Spritz mal ein bisschen vorsichtiger! Meine Buchse ist schon ganz nass!», maulte Steffen.
    «Dann schrubb doch etwas langsamer, dann kann ich wenigstens in Ruhe die Halle einweichen», sagte Manfred, der gern mit Patentlösungen aufwartete. Einer seiner Lieblingssprüche lautete: «Arbeit bekommen ist nicht schwer, Arbeit behalten dagegen sehr.»
    Mit der Anweisung, gemächlicher zu schrubben, war Steffen aber gar nicht einverstanden. «Guck mal auf den Tacho, ist schon vier durch», protestierte er. «Und wir müssen noch für das Abendessen einkaufen. Und wie du vielleicht weißt, kocht es sich nicht von selbst.»
    «Ihr seid wie die Kinder», sagte ich. «Wer zanken will, bekommt später keinen Nachtisch.»
    Jede weitere Diskussion wurde in diesem Moment von einem Einsatz unterbrochen, und damit auch die Arbeit. Die Neonröhren der Deckenbeleuchtung flackerten auf, die Abgasabsauganlage begann dumpf zu rauschen, und nach dem Alarmgong kam die nichts Gutes verheißende Durchsage aus den Lautsprechern: «Achtung, Einsatz für das LF : Kolpingstraße 60 . Pkw brennt in Hochhaustiefgarage.»
    Das Hochhaus war uns gut bekannt: Sechsundzwanzig Stockwerke, es wohnten fast nur Senioren in den Eigentumswohnungen. Unter dem Gebäude erstreckte sich eine große Tiefgarage mit nur einer Zufahrt, aber man hatte einen Direktzugang in das Treppenhaus. Die Lage des Objekts war taktisch so anspruchsvoll wie gefährlich. Augenblicklich spielten sich in meinem Kopf, dem Kopf eines Feuerwehrmanns, dramatische Szenarien ab: eine riesige, unübersichtliche Tiefgarage mit null Sicht durch den schlecht abziehenden Rauch, auslaufender Kraftstoff, der mehrere Pkw in Brand setzt, offene Brandschutztüren, die den Rauch in das Treppenhaus lassen. In ihren Wohnungen eingeschlossene, in Panik geratene Senioren, die sonst Mühe haben, alleine aus dem Bett zu kommen, hängen im Nachthemd an der Balkonbrüstung. Das war überhaupt nicht zu vergleichen mit einem Einsatz wie «Katze im Baum» oder ähnlichem täglichen Kleinkram. Zudem lag die Einsatzstelle keine dreihundert Meter von der Wache entfernt, was

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