112 - Der tägliche Wahnsinn
hieß, dass wir lange auf Verstärkung aus den Nachbarbezirken warten mussten.
Steffen, der an diesem Tag unser Maschinist war, zog sich schnell die Brandschutzüberhose und die dazugehörige Jacke an, schwang sich auf den Fahrersitz und meldete der Leitstelle über Funk, dass wir den Einsatz übernommen hätten. Manfred und ich sprangen ebenfalls in unsere Überbekleidung und fingen sofort an, uns in der Mannschaftskabine des Feuerwehrwagens mit Atemschutzgeräten auszurüsten. Die Tür zwischen dem Sozialtrakt der Wache und der Fahrzeughalle flog auf und unser Chef, der fluchtartig seine Büroarbeit im Stich lassen musste, kam zum Löschfahrzeug gelaufen. Als sich das schwere Fahrzeug vom Wachgelände auf die Straße schob, hängten wir uns das Funkgerät, die Feuerwehrleine und den Behälter mit den Fluchthauben um.
Kurz darauf hielt das Löschfahrzeug vor dem Hochhaus. Rasch schnappten wir uns noch eine Handlampe und sprangen aus dem Auto. Während Steffen die Schlauchleitung bis vor die Garagenzufahrt verlegte, packten Manfred und ich aus den Gerätefächern die Ausrüstung für den zu erwartenden Löscheinsatz zusammen: Wärmebildkamera, zwei Schlauchtragekörbe mit je fünfundvierzig Metern Schlauch, ein Strahlrohr und die Feuerwehraxt. Wir hatten eine Menge zu schleppen!
Unterdessen versuchte unser Gruppenführer sich durch die seitliche Zugangstür zur Garage Zutritt zu verschaffen, da das Garagenrolltor bis auf etwa dreißig Zentimeter geschlossen war. Steffen lief nach dem Bereitlegen unserer Versorgungsleitung zur unterstützenden Erkundung die Garageneinfahrt hinunter und wunderte sich zunächst, dass das Rolltor nicht nur etwas angehoben war, sondern auch an den unteren beiden Faltsegmenten stark beschädigt aussah.
Um einen Blick auf die vermeintlich dramatische Lage in der Tiefgarage zu erhalten, steckte er auf dem Bauch liegend seinen Kopf unter dem Tor hindurch. Zu seinem Erstaunen sah er weder eine starke Verqualmung noch ein loderndes Feuer, sondern erhaschte lediglich einen Blick unter den Rock einer verwirrten Seniorin, die dabei war, den Schaden zu erfassen, den sie mit ihrem Auto angerichtet hatte. Weiter im Innern der Parkhalle stand ein Fahrzeug etwas schräg in der Durchfahrt, aus dem laute Schlagermusik dröhnte. Das Mütterchen lief immer wieder zwischen Wagen und Garagentor hin und her, sie schien völlig durcheinander zu sein. Steffen sprach sie unter dem Rolltor hindurch an:
«Hallo? Brennt’s da drinnen?»
«Nein! Aber es ist ja so furchtbar …»
«Ist Ihnen etwas passiert?»
«Äh … ja … nein … es tut mir so leid.»
Steffen entschloss sich, seinen Heldenleib unter das teilzerstörte Tor zu zwängen, um dem immer noch verzweifelt an der verschlossenen Fußgängerzugangstür werkelnden Wachführer von innen zu öffnen. Als das geschehen war, konnten sie gemeinschaftlich die Lage erkunden. Über das Handfunkgerät erhielten Manni und ich kurze Zeit später eine Rückmeldung. Uns wurde mitgeteilt, dass wir aufhören könnten, den Vorplatz mit den Löschgeräten aus dem Fahrzeug zuzumüllen. «Leute, ihr könnt euch da draußen entspannen», ertönte die Stimme unseres Chefs. «Hier brennt nichts. Vielleicht können wir gleich schon wieder ‹abspannen›.» Er benutzte immer noch gern diesen alten Feuerwehrausdruck aus der Pferdezeit, der bedeutet, dass keine weiteren Kräfte mehr benötigt wurden.
In der Tiefgarage stellte sich die Situation so dar: Ein Pkw fernöstlichen Fabrikats stand Öl blutend und mit geöffneten Airbags vor einer Betonsäule, das Dach und beide Seiten waren verbeult und zerkratzt. Das Garagentor war ab der unteren Hälfte aus den Verankerungen gebrochen und baumelte vor sich hin. Eine Seniorin war völlig aufgelöst, und das Autoradio spuckte Florian Silbereisens Hausmusik in Discolautstärke in die Parkhalle.
«Was ist denn überhaupt passiert, gute Frau?», fragte der Chef die Pkw-Fahrerin, nachdem auch wir in die Garage hineingelassen wurden.
«Ich weiß nicht genau», erwiderte sie verzweifelt. «Ich wollte oben an der Einfahrt den Schlüssel aus der Torsteuerung ziehen, da fuhr das Auto plötzlich los und hielt nicht mehr an.» Sie lief immer noch wie aufgezogen im Kreis herum und konnte sich gar nicht beruhigen.
Während Steffen erst einmal das Radio ausschaltete, damit man sich in der Tiefgarage ohne zu schreien unterhalten konnte, überlegte unser Wachführer, was wohl passiert sein mochte: Die ältere Dame hatte nach dem Schalten des
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