112 - Der tägliche Wahnsinn
Tores auf der Zufahrt scheinbar versehentlich Vollgas gegeben, womöglich in der Hoffnung, dass das Gaspedal irgendwann eine Bremswirkung entfalten würde, bliebe sie nur lange genug darauf stehen. Das arme Tor war auf seine ebenfalls schon alten Tage nicht schnell genug oben, worauf das Auto aber keine Rücksicht nahm. Auf dem Weg in die Tiefgarage touchierte es erst die Begrenzungsmauern der Rampe, und zwar beidseits, semmelte danach die unteren Segmente des Tores aus den Laufschienen und versuchte zum Schluss noch mit großem Trotz den Betonpfeiler in der Halle wegzuschieben. Aber dieser war standhaft. Also: Die Autofront wurde brutal kaltverformt, die Seniorin bekam den Airbag auf die Brille, das Öl der Lenkhydraulik verabschiedete sich, und weil das Talkum, mit dem die Airbags vor dem Herstellerwerks-Origami eingepudert werden, staubte wie ein Sack Zement, hatte die Fahrerin in ihrer Verwirrtheit an Brandrauch gedacht und ein Feuer gemeldet.
Wir warteten jetzt auf die Polizei und bestellten den Rest der roten Armada, die bei einem solchen Alarmstichwort losgeschickt wird, über Funk ab. Es bestand kein Bedarf mehr, sie musste nicht mehr die weitere Umgebung des Hochhauses verstopfen oder den Verkehr unnötig strubbelig machen. Dann fand sich ein kleiner, rundlicher Herr Mitte fünfzig bei uns ein, der sich als Vorsitzender der Eigentümergemeinschaft vorstellte. Er erkundigte sich im schönsten Bergmannsdeutsch besorgt nach der Seniorin: «Watt iss mitti Frau? Muss die ins Krankenhaus?»
Der Wachführer beruhigte ihn: «Ich denke, der Rettungsdienst wird sie zum Durchchecken mitnehmen, aber wahrscheinlich hat sie Glück gehabt und ihr ist nichts passiert.»
«Mannmannmann», platzte es aus dem Vorsitzenden raus. «Die macht mich noch porös in Kopp mit ihre Sturheit. Die sollte sowieso kein Auto mehr fahren, so tüddelig wie sie iss. Die kricht doch kaum noch watt auffe Kette! Erst neulich hatte sie den Schlüssel von ihre Bude verklüngelt. Allet hamwa abgesucht. Und wissen Se, wo der war? In ihr sein Handtäschken! Nee, nee, die muss das Auto weggeben. Die kann ja auch kaum noch laufen. Ohne ihr sein Rollator kann se kaum noch vonne Stelle. Da fährt die noch Auto! Iss ja lebensgefährlich.»
Unser Vorgesetzter versuchte, den aufgeregten Mann etwas zu beruhigen: «Na ja, jeder hat mal einen schlechten Tag. Und wenn sie sich tatsächlich kaum bewegen kann, würde die Frau ohne Auto auch nirgendwo mehr hinkommen. Außerdem habe ich bislang nicht den Eindruck bekommen, dass sie so unbeweglich ist. Die tigert hier die ganze Zeit auf und ab, und alles ohne Rollator.»
Der knubbelige Vorsitzende war da anderer Meinung. «Dat ist nur vorgetäuscht. Die macht hier nicht mehr lange, wennet so weitergeht. Dann kommt die in ein Heim. Lebensgefährlich, sage ich, lebensgefährlich», prophezeite er und ging kopfschüttelnd weiter.
Die Seniorin, die zwischenzeitlich von einer Rettungswagenbesatzung behandelt worden war, weigerte sich, zur genaueren Untersuchung mit ins Krankenhaus zu fahren. Zum Glück hatte sie das Gespräch mit dem Vorsitzenden der Eigentümergemeinschaft nicht mitbekommen.
Als die Polizei eintraf, ließen sich die Beamten von unserem Wachführer über die Situation aufklären. Den Zündschlüssel des Wracks fand Steffen im Fußraum auf der Beifahrerseite des Autos: Die Fahrerin hatte ihn wohl vor dem Aussteigen abgezogen und achtlos dort hingeworfen. Jetzt konnten wir mit vereinten Kräften das Fahrzeug auf einen Abstellplatz in der Garage schieben. Trotz der durch einen verbogenen Kotflügel eingeschränkten Lenkung gelang das ohne große Schwierigkeiten. Nach dem Einpudern des Ölflecks vor der Betonsäule, die den Anprall erstaunlich gut überstanden hatte, konnten wir abrücken. Um das Tor mussten wir uns nicht mehr kümmern, da die Garage eine Ausfahrt hatte, die jetzt in zwei Richtungen genutzt werden musste.
Manfred meinte lakonisch, als wir wieder im Löschwagen saßen: «Zum Glück war es nur ein Garagentor und keine Bushaltestelle.»
[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 12 Angst vor dem tropfenden Wasserhahn
Zum Einsatzspektrum der Feuerwehr gehört das Abwenden von Schäden durch Wasser. Die Ursache des Wassereinbruchs in Wohnungen ist manchmal schwer zu eruieren, aber oft ist es möglich, ihn durch simple Maßnahmen zu stoppen: Beim Rohrbruch kann man sich durch Abdrehen des Haupthahns im Keller erst einmal die nötige Luft zur Recherche verschaffen, um dann zu entscheiden, wie es
Weitere Kostenlose Bücher