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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Behring
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nähert: Alle glotzen, kein Tier rührt sich. Wir konnten jedenfalls kaum glauben, dass diese Menschen die geistige Elite Deutschlands darstellen sollten.
    «Das gibt’s doch nicht», ärgerte sich unser Wachführer. «Denken die, das hier ist eine Theatervorführung?»
    Nach einem erneuten Läuten quäkte aber glücklicherweise doch noch die Sprechanlage los: «Ja, bitte?»
    Da war sie, die Frage, die ich nie verstehen werde. Wenn jemand mitten in der Nacht die Feuerwehr oder den Rettungsdienst für einen Notfall ruft, wer mag dann ein paar Minuten später vor der Tür stehen? Diese «Ja, bitte?»-Frage ist immer ein sicheres Indiz dafür, dass unser Eingreifen nicht so eilig erwartet wird. Ist es nämlich dringend, hören wir oft nur eine gehetzte Kurzfassung wie «Im zweiten».
    «Feuerwehr! Machen Sie uns bitte die Tür auf?», sagte der Chef.
    «Äh … ja … Kommen Sie in den vierten Stock, Apartment 435 », kam etwas unkonzentriert die Antwort. Anscheinend war Manfred nicht der Einzige, der gerade noch geschlafen hatte. Der Türsummer erklang, wir gingen ins Haus hinein und direkt zum Fahrstuhl. Unwillig machten die immer noch verständnislos glotzenden Figuren im Flur Platz.
    «Hättet uns ja ruhig mal aufmachen können», meckerte Manni. «Wir sind schließlich nicht zum Spaß hier.»
    Die Angesprochenen murmelten nur etwas Unverständliches.
    Auf dem Weg zum Apartment entdeckten wir mit Graffiti beschmierte Wände und Flure mit seltsamen Flecken verschiedenster Flüssigkeiten. Mein Blick fiel auch in eine offen stehende Gemeinschaftsküche, die so sauber war, dass man vom Boden hätte essen können. Wenn der Magen es ausgehalten hätte, wären sogar drei bis vier Personen davon satt geworden. Es befanden sich nämlich mehr Lebensmittel unter als auf dem Tisch.
    «Ist ja eine bevorzugte Wohngegend hier», frotzelte ich.
    «Ach was», meinte Manni, «sollst mal sehen, wie schick das hier ist, wenn die Putzfrau wieder aus dem Urlaub zurück ist.»
    Von der Bewohnerin des Apartments 435 wurden wir in einen winzigen Flur gebeten. Die etwa Zwanzigjährige war – nett ausgedrückt – horizontal ziemlich benachteiligt: Mehrere Hüftringe waren unter dem verwaschenen Shirt zu sehen, das sie über einer ausgeblichenen und an den Beinsäumen ausgefransten Jeans trug. Die strubbelige Kurzhaarfrisur sollte wohl nach außen tragen, dass sie den «naturbelassenen Typ» verkörpern wollte. Unser Blick ins düstere, unaufgeräumte Zimmer offenbarte uns einen in einen Sessel gefläzten jungen Mann, der, bekleidet mit einem ausgebeulten T-Shirt und einer Trainingshose aus Ballonseide, gelangweilt Werbung im Fernsehen schaute. Er nahm keine Notiz von uns.
    Die Studentin zeigte uns mit hilflosem Schulterzucken eine Wasserpfütze vor der im gefühlt postkartengroßen Flur installierten Singleküche. «Hier ist schon alles voll», erklärte sie. «Und es wird immer mehr!»
    Bei näherer Betrachtung war die Ursache schnell klar: Durch ein Zusammenspiel eines tropfenden Wasserhahns und des durch Essensreste verstopften Spülbeckenabflusses sammelte sich Wasser im Becken. Und damit hatte das Unglück seinen unaufhaltsamen Lauf genommen. Die Bewohnerin konnte ihren studentischen Lehrstoff bestimmt gut auswendig lernen, mit dem praktischen Einfühlungsvermögen in einfache physikalische Vorgänge ihrer Umwelt war sie jedoch deutlich überfordert.
    «Ich habe heute Nachmittag diesen Eimer unter den Hahn gestellt, weil das immer weitertropfte», jammerte sie.
    «Die Idee war schon mal nicht schlecht», stimmte unser Wachführer ihr zu.
    Sie erzählte weiter: «Aber der Eimer war dann irgendwann vollgetropft und lief über.»
    Damit war sie am Ende mit ihrer Phantasie. Sie hatte mental den Blinker gesetzt und war kognitiv zu früh abgebogen: Zwei bis drei Stunden später war das Spülbecken wie zuvor der Eimer bis zum Rand gefüllt – und nun tropfte das Wasser langsam vom Rand des Spültisches auf den Boden. Alles, was ihr dazu eingefallen war, ist mit drei Worten umschrieben: die Feuerwehr rufen.
    Etwas fassungslos standen wir zu viert in ihrem kleinen Flur. Während die Studentin uns nun lang und breit erklärte, wie verzweifelt sie schon sei, wie sie um all ihre Habe fürchte, die ja unweigerlich im Wasser versinken würde, wenn wir nicht sofort massiv eingriffen, wurden wir langsam nervös. Sollte dieser tropfende Wasserhahn der ganze Notfall sein? Kam nicht noch irgendeine Pointe?
    Ich unterbrach sie in ihrer Beschreibung der

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