1124 - Aus dem Reich der Toten
okay ist, dann kann ich wieder fahren.«
»Kannst du. Und vielen Dank dafür, daß du überhaupt gekommen bist. So handeln nur wahre Freunde.«
»Sagst du in London Bescheid?«
»Ja. Ich werde sie beruhigen.«
»Danke.«
Wir klatschten uns ab, dann ging der Konstabler wieder zu seinem Wagen. Nora war nicht nähergekommen. Sie beobachtete aus einer gewissen Entfernung, wie Terrence Bull in sein Fahrzeug stieg, auf der Straße wendete und wieder Kurs auf Lauder nahm.
Nora trat an mich heran. »Wie ich sehe, hast du den Mann gut gekannt.«
»Wir sind befreundet. Terrence Bull ist Konstabler in Lauder. Wir haben schon manchen Streß gemeinsam durchgestanden. Ihn erreichte ein Alarmanruf aus London. Ich werde dort vermißt. Sorry, aber ich muß mich bei einem Freund melden.«
»Gut, ich warte.«
Worauf? dachte ich. Worauf wartest du? Wer bist du überhaupt? Ich war noch immer sehr skeptisch.
Für mich hatte Nora längst nicht alle Karten aufgedeckt, sondern einige Trümpfe für sich behalten.
Ihre Person umgab ein Geheimnis, und wie sie auf die Maschine gesprungen war, das hätte jeder Stuntfrau zur Ehre gereicht. So etwas war schon fast übermenschlich gewesen.
Ich hatte gewählt, und Suko meldete sich sofort. Er mußte neben dem Telefon gelauert haben.
»Ich bin es nur.«
»John, verdammt! Endlich. Was geht nur in deinem Kopf vor? Was bildest du dir ein, uns so im Ungewissen zu lassen. Wir haben uns hier die größten Sorgen gemacht.«
»Das ist nicht nötig.«
»Weiß ich jetzt auch.«
»Wenn du mich fragst, worum es geht, kann ich dir jetzt nichts darüber sagen. Ich bin hier noch nicht fertig…«
»Was ist mit deinen Alpträumen und der Gestalt, die du immer dort gesehen hast?«
»Die gibt es nicht mehr.«
Suko wollte es kaum glauben. »Ist denn alles vorbei?« fragte er ungläubig.
»Nein, nicht alles, aber ich arbeite darauf hin. Ich weiß auch nicht, wie lange ich noch bleiben muß. Jedenfalls ist dieser Fall ein sehr persönlicher für mich.«
»Immer noch?«
»So ist es. Sollte ich Hilfe brauchen, weiß ich, an wen ich mich wenden kann.«
»Gut, dann bis später mal.«
Ich hätte Suko gern den Namen Nora Thorn durchgegeben, um herauszufinden, ob etwas gegen sie vorlag. Aber ich hatte darauf verzichtet. Sie stand nicht weit weg und hätte jedes Wort verstanden.
Das war auch nicht Sinn der Sache.
»Alles klar?« fragte sie und schlenderte auf mich zu.
»Im Moment schon.«
»Wunderbar, dann können wir ja fahren.« Sie drückte mir die Kettensäge in die Hände. »Hier, du kannst sie besser transportieren. Leg sie in den Wagen, ich fahre vor.«
»Kannst du mir jetzt das neue Ziel verraten?«
»Ja, kann ich. Du kennst es.« Die nächsten Worte sprach sie sehr deutlich aus. »Wir werden zur Ruine deines Elternhauses fahren, John…« Sie fügte nichts mehr hinzu, drehte sich von mir weg und ging zu der aufgebockten Maschine.
Ich stand noch auf dem gleichen Fleck und lauschte dabei dem Röhren des Motors, als sie startete.
Zum Haus meiner Eltern. Hin zur Ruine. Verdammt, was würde mich da noch erwarten…?
***
Ich brauchte Nora Thorn nicht einzuholen, denn den Weg kannte ich selbst. Zu oft schon war ich ihn gefahren und auch aus verschiedenen Richtungen kommend.
Der Abstand zwischen uns blieb gleich. Hin und wieder sah ich das Licht der Maschine als einen Schleier, der besonders in den Kurven auffiel, weil er dann über die Gewächse an den Straßenrändern strich und sie bleich anmalte.
Meine Gedanken drehten sich um das Ziel. Bisher war ich von einer Überraschung in die nächste hineingestolpert, doch ich war mir sicher, daß mir die größte noch bevorstand. Wir fuhren bestimmt nicht zum Spaß dorthin, um einige alte Erinnerungen aufzufrischen. Das hatte schon seine Gründe.
Die Nacht war wirklich sehr dunkel geworden, und sie paßte zu meiner Stimmung. Die verrücktesten Ideen schossen mir durch den Kopf. Ich hatte einen Killer mit dem Gesicht meines Vaters erlebt, der resistent gegen geweihte Silberkugeln gewesen war, aber einer Kettensäge nichts hatte entgegensetzten können.
Welche Überraschung erwartete mich noch?
Erlebte ich vielleicht eine Mörderin, die das Gesicht meiner Mutter aufwies? Allein der Gedanke trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Ich geriet ins Zittern, wenn ich mir vorstellte, daß ich meine Mutter auf dem gleichen Weg wie meinen Vater…
Nein, nur das nicht!
Aber der Gedanke ließ mich trotzdem nicht los. Ich hatte eine Schlacht gewonnen, aber
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